Das Geheimnis des Geschmackserlebens

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Geheimnis des Geschmackserlebnis
Author: Shari Langemak

Die Zunge kennt mindestens fünf Geschmacksqualitäten: süß, sauer, bitter, salzig und umami. Durch die unterschiedliche Aktivität spezifischer Rezeptoren wird daraus ein Geschmackserlebnis erzeugt, auf das auch Konsistenz und Geruch Einfluss nehmen.

Scientific support: Dr. Maik Behrens

Published: 27.11.2013

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • Auf unserer Zunge gibt es Rezeptoren für fünf Basisgeschmäcke: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Neue Studien deuten jedoch darauf hin, dass es auch mindestens einen Rezeptor für Fettiges gibt.
  • Während es nur einen Rezeptor für die Empfindung “süß” gibt, erkennen circa 25 unterschiedliche Rezeptoren Bitterstoffe in der Nahrung.
  • Bei der Verarbeitung von Geschmacksqualitäten werden zwei Prinzipien diskutiert, die wahrscheinlich beide teilweise zutreffen. Bei der Labeled-Line-Verschaltung verarbeitet eine spezifische Sinneszelle genau eine Geschmacksqualität und leitet diese an eine spezifische Nervenfaser weiter. Die Across-fiber-Theorie besagt, dass die gustatorischen Neuronen Input verschiedenster Geschmacksqualitäten erhalten.
  • Neben der Geschmacksqualität nehmen auch noch weitere sensorische Informationen Einfluss auf das Geschmackserlebnis. Besonders der Geruch der Nahrung trägt zur Geschmackswahrnehmung bei, aber auch Konsistenz, Temperatur und Schärfe spielen eine entscheidende Rolle.
Mythos Zungenkarte

Entgegen dem bekannten Mythos sind die verschiedenen Geschmacksrezeptoren überall auf der Zunge verteilt – und nicht auf streng getrennte Areale beschränkt, wie ursprünglich angenommen. Schuld daran ist eine Fehlinterpretation von Versuchsdaten: Areale mit geringer Intensität für eine Geschmacksrichtung wurden von anderen Forschern als Areale ohne jegliche Wahrnehmung dieses Geschmacks interpretiert. So wurde in den 1940ern die so genannte Zungenkarte erschaffen, die fast jeder einmal gesehen hat, die aber ein Mythos ist. Dort ist die Zungenspitze als Süßregion verzeichnet und erst ganz hinten, am Racheneingang, findet sich das Bitterareal. Wer im Selbstversuch aber einmal Zucker fernab der Zungenspitze testet, stellt schnell fest, dass man “süß” eigentlich überall auf der Zunge schmecken kann. Trotzdem hält sich der Mythos weiter hartnäckig.

Es ist schon erstaunlich, was der Mensch so alles schmecken kann. Vom sahnig-​würzigen Geschmack eines Thai-​Currys bis hin zur feinen Zimt-​Note von Großmutters Apfelstrudel: Der menschliche Geschmack identifiziert problemlos jede bekannte Leckerei. Das ist deshalb bemerkenswert, weil auf unterster Sinnesebene – in den Geschmackssinneszellen der Zunge – zunächst nur eine Hand voll Basisgeschmäcke erkannt werden kann: süß, sauer, salzig, bitter und umami – und nach neueren Indizien wohl auch noch fettig. Erst durch geschickte Verschaltung wird im Gehirn daraus der Gesamtgeschmack “Apfelstrudel” oder “Thai-​Curry”.

Entsprechend lange hat es gedauert, bis man dieser komplexen Sinneserfahrung auf den Grund gekommen ist. Erst in den 1990ern gelang der erste Durchbruch: Im Erbgut von Nagern entdeckten die beiden US-​Forscher Charles Zuker und Nicholas Ryba den Bauplan eines Proteins, hinter dem sie zu Recht einen Geschmacksrezeptor vermuteten. Es dauerte allerdings noch einige weitere Jahre, bis mit Hilfe der Arbeit zahlreicher Forschungsgruppen nachgewiesen werden konnte, dass es sich hierbei um eine von zwei Untereinheiten des Süßrezeptors handelt. Dessen Funktion konnte durch spezielle Mausexperimente entschlüsselt werden, wie Wolfgang Meyerhof, Genetiker am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Dife) bei Potsdam, erklärt: “Mäuse, bei denen die Gene für beide Untereinheiten ausgeschaltet worden sind, können nichts Süßes mehr schmecken – Glukose und Saccharose eingeschlossen. Denn alle Substanzen, die süß schmecken, aktivieren diesen Rezeptor.” Seine Untereinheiten gehören zu derselben Proteinfamilie, genannt TAS1R (früher T1R).

Rezeptoren für jeden Geschmack

Andere Geschmacksrichtungen werden dagegen über andere Rezeptortypen wahrgenommen. Ihre Entschlüsselung folgte kurz nach der Entdeckung von TAS1R. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass nicht jede Geschmacksrichtung ebenso nur einem einzelnen Rezeptortypen zugeordnet ist. So gibt es von TAS2R eine Vielzahl von Varianten, die auf verschiedene Bitterstoffe unterschiedlich stark ansprechen. Der Mensch besitzt circa 25 solcher Bitter-​Rezeptoren. Diese können entsprechend ihrer Aktivität in drei unterschiedliche Klassen eingeordnet werden: “Generalisten erkennen mehr als ein Viertel der angebotenen Bitterstoffe. Spezialisten werden dagegen nur von weniger als drei Prozent der Bitter-​Moleküle aktiviert. Und dann gibt es noch moderate Bitter-​Rezeptoren, die zwischen drei und zehn Prozent der Bitterstoffe erkennen können”, sagt Meyerhof. Diese hohe Spezialisierung ist lebenswichtig: Denn viele Giftstoffe schmecken bitter. Die zuverlässige und umgehende Wahrnehmung von Bitterstoffen verhindert so seit jeher viele Vergiftungen. (Wie sich der Geschmackssinn austricksen lässt: Geschmacksver(w)irrung)

Eine gänzlich andere Funktion wird einer neu entdeckten Art von Rezeptor zugeschrieben: GPR120. Auch Meyerhof und seine Kollegen forschen intensiv dazu. Das Interessante an ihm: Er wird durch langkettige Fettsäuren aktiviert. Zuvor war man davon ausgegangen, dass der fettige Geschmack vor allem durch die Konsistenz der Nahrung vermittelt wird. Nun spricht allerdings viel dafür, dass es eine gustatorische Komponente der Fettwahrnehmung gibt. Endgültig bestätigt ist diese Vermutung allerdings bisher noch nicht.

Komplexe Verschaltungssysteme

Alle Rezeptoren – ob TAS1R oder TAS2R – befinden sich auf unterschiedlichen Populationen von Geschmackszellen. Diese Populationen sind damit spezifisch für beispielsweise Bitter– oder Süßstoffe. Eine ähnliche Spezifität gibt es bei den anhängenden Nervenfasern. Denn Geschmackszellen sind so genannte sekundäre Sinneszellen – das heißt, sie bilden keine eigenen Nervenfasern aus. Stattdessen werden sie von afferenten sensorischen Nerven innerviert, die die chemische Aktivität der Sinneszellen in elektrische Nervensignale umwandeln.

Wann und wie die Verschaltung der spezifischen Qualitäten danach aber genau vonstattengeht, darüber herrscht derzeit noch viel Diskussion. Zur Debatte stehen zwei Verarbeitungsprinzipien: Labeled Line und Across-​Fiber. Eine Labeled-​line-​Verschaltung bedeutet, dass eine spezifische Sinneszelle genau eine Geschmacksqualität verarbeitet und diese wiederum an eine spezifische Nervenfaser weiterleitet. Diese Spezifität weisen auch die zentralen, Geschmacksinformation verarbeitenden oder repräsentierenden Nervenzellen auf. Die Across-​fiber-​Theorie besagt dagegen, dass die gustatorischen Neuronen Input verschiedenster Geschmacksqualitäten erhalten. “Letztlich konnte bisher noch keine der Theorien bestätigt werden, denn es gibt experimentelle Evidenzen für beide”, sagt Meyerhof. Demnach scheint es zwar spezialisierte Sinneszellen zu geben – aber viele gustatorische Nervenzellen werden durch Stimuli mehrerer Geschmacksqualitäten erregt.

Von der Zunge bis zum Hirnstamm

Die Fasern entstammen gleich drei der zwölf Hirnnerven: dem siebten, neunten und dem zehnten. Ihre Geschmacksfasern ziehen hinauf bis zum Hirnstamm und enden dort im Nucleus tractus solitarii. Dort angekommen, wird ein Teil der Signale direkt vor Ort weiterverarbeitet. Im Hirnstamm werden nämlich Grundfunktionen wie Speichelfluss, Schluckbewegungen und der Würgereiz kontrolliert. Schmeckt etwas beispielsweise sehr bitter – und ist damit potenziell gefährlich – kann hier das Ausspucken eingeleitet werden.

Der Großteil der Geschmacksinformationen wird aber über den Thalamus zum gustatorischen Cortex, der Geschmacksrinde, weitergeleitet. Oft heißt es, dieser Gehirnbereich sei ähnlich dem Sehcortex in Areale unterschiedlicher Qualitäten aufgeteilt. Die räumliche Repräsentation der Geschmacksqualitäten scheint hier jedoch zu überlappen, wenn auch das genaue Ausmaß nicht bekannt ist. Meyerhof erklärt: “Während bildgebende und optogenetische Verfahren die Existenz räumlicher Karten unterstützen, zeigen elektrophysiologische Arbeiten hingegen mehrheitlich, dass Neuronen im gustatorischen Cortex auf mehr als nur eine Geschmacksqualität reagieren. Das ist aber mit einer räumlich getrennten Verarbeitung der Grundgeschmacksarten kaum vereinbar.”

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Weitreichende Überschneidungen

Große Überschneidungen dürfte es allerdings auch noch mit anderen sensorischen Qualitäten geben. Denn der Geschmack von Nahrungsmitteln wird nicht allein über Geschmacksrezeptoren vermittelt – sondern ebenso über Geruchs-​, Schmerz– und Mechanorezeptoren. Geruch, Schärfe und Konsistenz haben einen großen Einfluss auf das Geschmackserlebnis. Forscher gehen davon aus, dass bis zu 80 Prozent tatsächlich über den Geruch vermittelt wird. Wenig verwunderlich also, dass uns bei einer starken Erkältung kaum noch etwas “schmeckt” – uns fehlt ganz einfach der Geruchsanteil unserer Lieblingsspeisen. Neurogastronomie – eine neue Wissenschaft vom Geschmack

Doch auch die Temperatur spielt beim Geschmack eine große Rolle. Kälte und Hitze nehmen gleich auf dreierlei Weise Einfluss: Sie verändern die Konsistenz, die Stärke des Geruchsaromas und die Empfindlichkeit für bestimmte Geschmacksqualitäten. Bei 10 Grad Celsius schmecken wir Bitterstoffe beispielsweise besonders gut, bei 35 bis 50 Grad Celsius dagegen besser Süßes.

zum Weiterlesen:

  • Chemosensory Systems in Mammals, Fishes and Insects, hg. von Wolfgang Meyerhof und Sigrun Korsching, Berlin 2009.

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