Wie das „Obere Hügelchen“ im Gehirn hilft, eine Nadel einzufädeln

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Obere Hügelchen

Forscher des Tübinger Hertie-Instituts schreiben dem Areal im Hirnstamm eine größere Funktion zu als bislang angenommen

Source: Hertie Institute für klinische Hirnforschung

Published: 03.07.2019

Wir sehen nur rund ein bis zwei Prozent unserer Umwelt wirklich scharf – und zwar den Ausschnitt, der in die Sehgrube (lat.: Fovea Centralis) der Netzhaut fällt. Um knifflige Handlungen auszuführen, wie etwa einen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen, müssen unsere Augen daher viele kleine und sehr präzise Bewegungen ausführen. Nur so können wir den ganzen Vorgang hochaufgelöst sehen – und vermeiden, dass wir uns in den Finger stechen. Doch wie kontrolliert unser Gehirn diese Bewegungen? Dieser Frage sind Neurowissenschaftler um Professor Ziad M. Hafed am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Universität Tübingen nachgegangen. Ihren Ergebnissen zufolge spielt dabei das sogenannte Obere Hügelchen (lat.: Superior Colliculum) im Hirnstamm die Hauptrolle. Darüber berichten die Forscher in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology. Die Erkenntnisse helfen, das Sehsystem und seine Störungen besser zu verstehen.

„Wir wussten vom Oberen Hügelchen, dass diese Region präzise Augenbewegungen kontrollieren kann“, sagt Studienleiter Hafed. „Was unklar war: Trifft dies auch auf Augenbewegungen zu, die von einer hohen Sehschärfe abhängig sind, wie wir sie etwa beim Einfädeln einer Nadel benötigen?“. Um diese Frage zu beantworten, maßen Hafed und sein Team die Aktivität von Nervenzellen im Oberen Hügelchen des Gehirns von Rhesusaffen. Die Tiere mussten dabei auf hochaufgelöste Bildern mit kleinen und präzisen Augenbewegungen reagieren. Anschließend verglichen die Wissenschaftler das Muster der Nervenzellaktivität mit dem anatomischen Aufbau des Oberen Hügelchens. 

Fovea centralis

Fovea/Fovea centralis/fovea

Die Fovea centralis liegt im Zentrum des Gelben Flecks und ist der Bereich des schärfsten Sehens bei Vögeln und höheren Säugetieren. Der Durchmesser beim Menschen beträgt ca 1,5 mm. In der Fovea gibt es keine Stäbchen, sondern nur Zapfen, die im Verhältnis 1:1 auf die Ganglienzellen verschaltet werden, wodurch eine sehr hohe „Auflösung“ erreicht wird.

Netzhaut

Netzhaut/Retina/retina

Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Colliculus superior

Obere Hügelchen/Colliculi superiores/superior colliculus

Das obere Hügelpaar der Vierhügelplatte des Mittelhirns (Tectum) wird auch im Plural als Colliculi superiores bezeichnet. Sie bilden eine Schaltstelle im optischen System für Reflexbewegungen der Augen und für Pupillenreflexe.

Hirnstamm

Hirnstamm/Truncus cerebri/brainstem

Der „Stamm“ des Gehirns, an dem alle anderen Gehirnstrukturen sozusagen „aufgehängt“ sind. Er umfasst – von unten nach oben – die Medulla oblongata, die Pons und das Mesencephalon. Nach unten geht er in das Rückenmark über.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Colliculus superior

Obere Hügelchen/Colliculi superiores/superior colliculus

Das obere Hügelpaar der Vierhügelplatte des Mittelhirns (Tectum) wird auch im Plural als Colliculi superiores bezeichnet. Sie bilden eine Schaltstelle im optischen System für Reflexbewegungen der Augen und für Pupillenreflexe.

„Wir beobachteten, dass rund ein Viertel bis ein Drittel aller Nervenzellen im Oberen Hügelchen für die Verarbeitung von Informationen aus der Sehgrube zuständig ist“, so Hafed. „In anderen Worten: 30 bis 40 Prozent der dortigen Nervenzellen verarbeiten ein bis zwei Prozent des visuellen Bildes.“ Es vergrößert sich also drastisch die Zahl der Nervenzellen, die an der Verarbeitung von hochaufgelösten Bildbereichen beteiligt sind. Hafeds Schlussfolgerung: „Damit eignet sich das Obere Hügelchen perfekt, um auch präzise Augenbewegungen zu lenken.“ Das stelle einen Wendepunkt für die Sehforschung dar: Bislang sei man davon ausgegangen, dass das Obere Hügelchen nur dazu notwendig ist, die Augen aus dem Bereich des schärfsten Sehens wegzubewegen. 

Die Entschlüsselung der Sehverarbeitung in tieferen Hirnstrukturen hilft Hirnforschern auch, bestimmte Sehstörungen besser zu verstehen. So ist beim sogenannten Blindsehen die primäre visuelle Großhirnrinde etwa durch einen Schlaganfall verletzt. Diese Patienten sind erblindet, können jedoch auf manche visuellen Reize unbewusst reagieren und zum Beispiel einen heranfliegenden Ball fangen oder ihm ausweichen. „Parallele Sehbahnen, wie sie etwa über das Obere Hügelchen laufen, verleihen hier die Restfähigkeit“, erklärt Hafed. „Erkenntnisse über diese Wege können in Zukunft genutzt werden, um sie spezifisch zu stimulieren und dadurch spezielle Sehprobleme zu lindern“.

Die Studie ist in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Klaus-Peter Hoffmann und Privatdozentin Dr. Claudia Distler von Ruhr-Universität Bochum entstanden.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Colliculus superior

Obere Hügelchen/Colliculi superiores/superior colliculus

Das obere Hügelpaar der Vierhügelplatte des Mittelhirns (Tectum) wird auch im Plural als Colliculi superiores bezeichnet. Sie bilden eine Schaltstelle im optischen System für Reflexbewegungen der Augen und für Pupillenreflexe.

Fovea centralis

Fovea/Fovea centralis/fovea

Die Fovea centralis liegt im Zentrum des Gelben Flecks und ist der Bereich des schärfsten Sehens bei Vögeln und höheren Säugetieren. Der Durchmesser beim Menschen beträgt ca 1,5 mm. In der Fovea gibt es keine Stäbchen, sondern nur Zapfen, die im Verhältnis 1:1 auf die Ganglienzellen verschaltet werden, wodurch eine sehr hohe „Auflösung“ erreicht wird.

Colliculus superior

Obere Hügelchen/Colliculi superiores/superior colliculus

Das obere Hügelpaar der Vierhügelplatte des Mittelhirns (Tectum) wird auch im Plural als Colliculi superiores bezeichnet. Sie bilden eine Schaltstelle im optischen System für Reflexbewegungen der Augen und für Pupillenreflexe.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Schlaganfall

Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke

Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.

Originalpublikation

Chen et al. (2019): The Foveal Visual Representation of The Primate Superior Culliculus, Current Biology, 29, 1-11. 
doi.org/10.1016/j.cub.2019.05.040

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