Vom Laut zum Wort

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Vom Laut zum Wort
Author: Sascha Karberg

Sprache erzeugen und verstehen zu können, macht den Menschen zu etwas Einzigartigem in der Evolution. Wie die Hirnforschung mittlerweile weiß, sind an der Sprachverarbeitung Areale in und unterhalb der Großhirnrinde beteiligt.

Scientific support: Prof. Dr. Katharina von Kriegstein

Published: 13.10.2023

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • Einzelne Gruppen von Neuronen reagieren sensibel auf die Phoneme der menschlichen Sprache.
  • In der Großhirnrinde sind Teile des Frontal- und Temporallappens für das Sprachverstehen und die Sprachproduktion wichtig.
  • Sprache kann das Gehirn unter anderem anhand charakteristischer Frequenzen von anderen Geräuschen unterscheiden.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Temporallappen

Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe

Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-​Sprachzentrum.

Wer spricht da bitte?

Das Telefon klingelt, am anderen Ende erklingt nur ein knappes „Hallo“ – trotzdem ist es kein Problem, den Ehemann oder gar den Chef an seiner Stimme zu erkennen. Manchen Menschen jedoch fehlt diese Fähigkeit, die Besonderheiten einer Stimme zu erkennen und einer bekannten Person zuzuordnen. Diese als Phonagnosie bezeichnete Störung könnte mit einer Schädigung von Regionen wie dem rechten Temporallappen zusammenhängen, die selektiv Stimmen zu verarbeiten scheinen. Bis vor kurzem wurde Phonagnosie lediglich als Folge von Schlaganfällen beobachtet. Doch 2009 entdeckten Forscher des University College London bei einer 60jährigen Patientin, „KH“ genannt, auch eine möglicherweise angeborene Form. Anatomische Defekte ließen sich bei der Patientin nicht feststellen. „KH“ kann weder unbekannte Stimmen lernen noch Stimmen von ihr bekannten Personen wiedererkennen.

Temporallappen

Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe

Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-​Sprachzentrum.

Schlaganfall

Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke

Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.

Es sind nur zwei, noch dazu identische und denkbar einfache Geräusche – doch bei dem erwartungsvollen Zuhörer löst es ein Feuerwerk von Gefühlen aus, als der Sprössling zum ersten Mal so etwas wie „Pa-Pa“ brabbelt. Der Kleine wird umarmt, gedrückt und stolz herumgezeigt. Rührend, aber doch auch eine Reaktion auf ein – Verzeihung! – ziemlich zufälliges Ereignis. Denn sicher hat der Nachwuchs unzählige Male zuvor schon ganz ähnliche Silben ausprobiert, wie „ba“, „ma“ oder „da“, – so genannte Phoneme.

So ähnliche Silben wie „ba“ und „pa“ unterscheiden sich sogar nur durch das, was Linguisten als die elementarste sprachliche Einheit bezeichnen, das „phonemunterscheidende Merkmal“. Selbst im Hirn von Affen konnten Forscher Nervenzellen nachweisen, die auf solche phonemunterscheidenden Merkmale eines akustischen Reizes sensibel reagieren, also auf einen Laut wie „ba“ antworten, nicht jedoch auf „pa“. Beim Menschen sind es wohl einzelne Gruppen von Neuronen, die in der Lage sind, die etwa 100 Phoneme des linguistischen Alphabets zu erkennen, aus dem sich alle bekannten Sprachen zusammensetzen lassen.

Doch menschliche Sprache ist mehr als das Erkennen aufeinanderfolgender Phoneme. Nicht umsonst lässt erst das zweimalige „Pa“ des Babys den Vater dahinschmelzen, weil es erst so als sinnvoll erkennbar wird. Auch wenn der Sprössling mit seinem Gebrabbel wohl noch nicht diesen bärtigen Kerl gemeint hat, interpretiert das stolze Vaterhirn eine tiefe Bedeutung in diese zwei Silben hinein. So wie das launisch vorwurfsvoll betonte „Papa“ des späteren Teenagers wiederum eine ganz andere Semantik bekommen wird. Und spricht das Kind erst in zusammenhängenden Sätzen, dann wird Papa grammatikalisch mal als Subjekt, mal als Objekt erkannt.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Zentrale Sprachareale: Syntax und Semantik

Für all diese sprachlichen Kognitionsleistungen machte man bis in die 1970er Jahre vor allem das Broca-Areal im Gyrus frontalis inferior und die Wernicke-Region verantwortlich, die sich bei Rechtshändern meistens im linken Temporallappen befindet, bei Linkshändern jedoch häufiger rechts. Das hatten vor allem Untersuchungen von Patienten mit Hirnverletzungen wie zum Beispiel Schlaganfällen ergeben. Demnach schien das Broca-Areal vor allem für Sprachproduktion und das Wernicke-Areal für Sprachverstehen zuständig zu sein. Doch jüngere Forschungen zeigen, dass es diese klare Trennung wohl so nicht gibt.

Patienten mit Broca-bedingten Sprachstörungen (Aphasie), haben nach genaueren Untersuchungen meist auch Schwierigkeiten beim Sprachverstehen, zum Beispiel bei Unterschieden im Satzbau, der Syntax. Deshalb geht man inzwischen davon aus, dass in der Broca-Region Satzbau und Grammatik verarbeitet werden – und zwar sowohl für das Sprechen als auch beim Verstehen von Gesprochenem. Ähnlich ist es bei Patienten mit Schäden im Wernicke-Areal, das nach heutigem Verständnis möglicherweise eine Verbindungsstelle zwischen sprachlicher und semantischer Information darstellt. Nicht nur beim Zuhören verstehen Patienten mit Schädigungen des Wernicke-Areals Wörter nicht immer korrekt. Auch beim Sprechen bringen sie Wörter durcheinander, sagen etwa anstatt Apfel Birne oder auch Beißfrucht.

Broca-Areal

Broca-Areal/-/Broca´s area

Ein Areal des präfrontalen Cortex (Großhirnrinde) der dominanten Hemisphäre, das maßgeblich an der motorischen Erzeugung von Sprache beteiligt ist. Erstmals beschrieben von dem französischen Neurologen Paul Pierre Broca im Jahr 1861.

inferior

inferior/inferior/inferior

Eine anatomische Lagebezeichnung — inferior bedeutet weiter unten gelegen, der untere Teil.

Temporallappen

Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe

Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-​Sprachzentrum.

Schlaganfall

Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke

Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.

Sekundärer auditorischer Cortex

Sekundärer auditorischer Cortex/-/secondary auditory cortex

Ein dem primären auditorischen Cortex (Großhirnrinde)nachgeschaltetes Areal im Temporallappen (Schläfenlappen), das vor allem mit dem Verständnis von Sprache assoziiert wird. Auch bekannt als Wernicke-​Areal.

Nicht nur einseitige Aktivität

In der Regel findet der Großteil der Sprachverarbeitung in der linken Großhirnhemisphäre statt, doch es lassen sich für bestimmte Aufgaben auch immer wieder beidseitige Aktivitäten feststellen. So zeigen Untersuchungen von Patienten mit Verletzungen des „Balkens“ – des Corpus callosum, der die beiden Hirnhälften verbindet –, dass die rechte Hemisphäre offenbar nötig ist, um lautübergreifende akustische Merkmale wie Akzent oder Intonation zu verarbeiten. Eine Studie von Forschern der Berliner Charité aus dem Jahre 2008 weist darauf hin, dass für das Erkennen von Satzstrukturen und -inhalten sogar eine Kooperation von Gehirnrinde und Thalamus nötig ist. Überhaupt wird mittlerweile immer deutlicher, dass nicht allein das Broca- und das Wernicke-Areal an der Sprachverarbeitung beteiligt sind, sondern auch andere Bereiche der Großhirnrinde und solche unterhalb der Großhirnrinde, darunter womöglich auch die Basalganglien.

Hemisphäre

Hemisphäre/-/hemisphere

Großhirn und Kleinhirn bestehen aus je zwei Hälften – der rechten und der linken Hemisphäre. Im Großhirn sind sie verbunden durch drei Bahnen (Kommissuren). Die größte Kommissur ist der Balken, das Corpus callosum.

Thalamus dorsalis

Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus

Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.

Sekundärer auditorischer Cortex

Sekundärer auditorischer Cortex/-/secondary auditory cortex

Ein dem primären auditorischen Cortex (Großhirnrinde)nachgeschaltetes Areal im Temporallappen (Schläfenlappen), das vor allem mit dem Verständnis von Sprache assoziiert wird. Auch bekannt als Wernicke-​Areal.

Basalganglien

Basalganglien/Nuclei basales/basal ganglia

Basalganglien sind eine Gruppe subcorticaler Kerne (unterhalb der Großhirnrinde gelegen) im Telencephalon. Zu den Basalganglien zählen der Globus pallidus und das Striatum, manche Autoren schließen weitere Strukturen mit ein, wie z. B. das Claustrum. Die Basalganglien werden primär mit der Willkürmotorik in Verbindung gebracht.

Von der Form zum Inhalt

Der Weg, den Sprache durch das Gehirn nimmt, bis sie dem Zuhörer bewusst wird, ist überraschend. Denn laut der Sprachforscherin Angela Friederici vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften wird zuallererst nicht die Bedeutung, sondern die Grammatik eines Satzes untersucht. Form vor Inhalt: Innerhalb von 200 Millisekunden analysiert das Gehirn von Erwachsenen Nomen, Verben, Präpositionen und andere grammatikalische Finessen. Bei Kindern dauert es noch bis zu 350 Millisekunden – ein Hinweis, dass die Grammatikregeln gelernt werden müssen, dann aber automatisiert ablaufen. Erst in einer zweiten Phase, bis zu 400 Millisekunden später, interpretiert das Gehirn schließlich die Bedeutung der Wörter. In der dritten, der Analysephase nach 600 Millisekunden, hat das Hirn Grammatik und Semantik eines Satzes schließlich in Einklang gebracht.

Bloße Töne von Sprache unterscheiden

Doch wie erkennen Eltern in der dahingebrabbelten Lippenakrobatik ihres Kindes überhaupt Sprache und nicht mehr nur Töne? Was macht – abgesehen von einer gesteigerten Erwartungshaltung der Eltern – den Unterschied aus zwischen Schallwellen vom menschlichen Sprachapparat und von Musikinstrumenten oder Autos? Die Cochlea-Schnecke im Innenohr hat offenbar, ähnlich wie die Netzhaut des Auges, eine Entsprechung im Gehirn. Hohe Frequenzen werden von anderen Neuronengruppen – „Feldern“ – im auditorischen Cortex verarbeitet als niedrigere Frequenzen.

Und so wie der Presslufthammer ein charakteristisches Frequenzspektrum abdeckt, spielt sich auch die menschliche Sprache in einem bestimmten Bereich ab: 80 Hz bis 12 kHz, wobei der Grundton bei Männern um die 125 Hz liegt, bei Frauen rund doppelt (250 Hz) bzw. bei Kindern fast viermal so hoch (440 Hz). Schon deswegen wird das „Pa-Pa“ teilweise von anderen Neuronen verarbeitet als andere Geräusche, sei es Musik, Lärm oder nur Gebrabbel.

Netzhaut

Netzhaut/Retina/retina

Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.

Auditorischer Cortex

Auditorischer Cortex/-/auditory cortex

Der auditorische Cortex ist ein Teil des Temporallappens, der mit der Verarbeitung akustischer Signale befasst ist. Er unterteilt sich in primäre und sekundäre Hörrinde.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

zum Weiterlesen:

  • Test zur Erkennung von Stimmen an der TU Dresden; URL: https://phonagnosie.zih.tu-dresden.de/; zur Webseite.
  • Wahl M. et al: The Human Thalamus Processes Syntactic and Semantic Language. Neuron 2008; 59(5):695-707, 2008 (zum Abstract).

Thalamus dorsalis

Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus

Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Veröffentlichung: am 27.07.2012
letzte Aktualisierung: am 13.10.2023

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