Die Sehbahn - Hochgeschwindigkeitsleitung ins Gehirn

Die Sehbahn - Hochgeschwindigkeitsleitung ins Gehirn
Author: Julia Groß

Die Umwandlung eines Bildes auf der Netzhaut in elektrische Nervensignale ist nur der Beginn des Sehens. Damit wir die erhaltenen Informationen verarbeiten und darauf reagieren können — und zwar möglichst ohne Verzögerung — führt mit der Sehbahn eine wahre Hochgeschwindigkeitsstrecke vom Auge ins Gehirn.

Scientific support: Prof. Dr. Uwe Ilg

Published: 13.01.2017

Difficulty: serious

Das Wichtigste in Kürze
  • Die Sehbahn leitet visuelle Signale blitzschnell an das Gehirn weiter.
  • Die Sehnerven beider Augen überkreuzen am Chiasma opticum Etwa die Hälfte der Fasern beider Nervenstränge wechselt hier die Seite, so dass Signale aus dem linken Auge auch in der rechten Hirnhälfte verarbeitet werden und umgekehrt.
  • Jenseits der Kreuzung werden die Sehnerven als Sehtrakt oder Tractus opticus bezeichnet.
  • Die meisten Nervenfasern ziehen über den seitlichen Kniehöcker in den visuellen Cortex, ein kleiner Teil jedoch gibt dem Prätektum Input, etwa für die “innere Uhr” oder den Pupillenreflex.

Chiasma opticum

Sehnervkreuzung/Chiasma opticum/optic chiasma

Das Chiasma opticum ist eine kreuzförmige Verbindung zwischen den Sehnerven, an der jeweils 50% der Sehnervenfasern die Seite wechseln.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Störungen des Sehnervs

Störungen auf der visuellen Hochgeschwindigkeitsstrecke haben gravierende Konsequenzen. Krankheiten, die die Sehnerven schädigen, führen häufig dazu, dass ganze Areale des Gesichtsfelds eines Auges nicht mehr im Gehirn registriert werden. Beeinträchtigt beispielsweise ein Tumor, eine Entzündung oder eine Blutung den rechten oder linken Sehnerv zwischen Netzhaut und Sehnervenkreuzung, fehlt die gesamte Information aus dem jeweiligen Auge. Geschieht der Schaden an oder nach der Sehnervenkreuzung, treten besondere Ausfallmuster auf: Etwa die "Scheuklappenblindheit", also ein Ausfall des äußeren Gesichtsfeldes, wenn die sich überkreuzenden Bahnen im Chiasma opticum betroffen sind. Ist die Verbindung zwischen Chiasma opticum und der primären Sehrinde unterbrochen, fehlt von beiden Augen jeweils eine Gesichtsfeldhälfte.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Chiasma opticum

Sehnervkreuzung/Chiasma opticum/optic chiasma

Das Chiasma opticum ist eine kreuzförmige Verbindung zwischen den Sehnerven, an der jeweils 50% der Sehnervenfasern die Seite wechseln.

Kniehöcker-Verschaltungen

In Schicht 2, 3 und 5 des seitlichen Kniehöckers enden jeweils Fasern aus dem ipsilateralen Auge, in Schicht 1, 4 und 6 die Stränge aus dem kontralateralen Auge. Schicht 1 und 2 des seitlichen Kniehöckers sind die magnozellulären Schichten mit größeren (lateinisch: magnus) Zellkörpern und Axondurchmessern. Sie reagieren vor allem auf Bewegungen. Die parvozellulären Schichten 3 bis 6 setzen sich aus kleineren (lateinisch: parvus) Nervenzellen zusammen und liefern Input für die Verarbeitung von Form und Farbe. Zwischen diesen sechs Schichten liegen sechs Schichten des koniozellulären Systems, dessen Funktion immer noch nicht verstanden ist.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Manche Live-​Sendungen sind gar nicht so „live“, wie sie behaupten. Preisverleihungen, Galas, teilweise sogar Sportübertragungen strahlen die Fernsehsender mit einer kleinen Verzögerung aus, etwa um Missgeschicke ausblenden zu können. Was wäre, wenn wir auch die Welt um uns herum nur zeitlich versetzt wahrnehmen würden? Wenn das Auto, das wir eine Straße entlang fahren sehen, in Wirklichkeit schon viel näher wäre? Eine bedrohliche Vorstellung, die zum Glück nicht zutrifft, da mit der Sehbahn eine wahre Hochgeschwindigkeitsleitung ins Gehirn führt, die Signale in weniger als einer Zehntelsekunde aus der Netzhaut übermittelt.

Nerven über Kreuz

Der Sehnerv, lateinisch Nervus opticus, besteht aus rund einer Million Axonen der Ganglienzellen der Netzhaut. Er hat bis zu sieben Millimeter Durchmesser und verlässt das Auge auf dessen Rückseite, wodurch der blinde Fleck entsteht. Die Sehnerven von rechtem und linkem Auge treffen sich nach rund 4,5 Zentimetern am Chiasma opticum, der Sehnervenkreuzung. Beim Menschen wechselt hier rund die Hälfte der Fasern aus den beiden Nervensträngen die Richtung, die anderen fünfzig Prozent verlaufen weiter auf der Seite des Auges, dem sie entspringen.

Welche Nervenfasern kreuzen und welche nicht, richtet sich nach dem Gesichtsfeld: Wie sich anhand von Strahlengängen verdeutlichen lässt, fällt Licht aus dem linken Bereich unseres Gesichtsfeldes im linken Auge auf die innere, nasale Seite der Netzhaut. Im rechten Auge fällt es auf die äußere, temporale Hälfte und umgekehrt. Beide Augen bekommen so Informationen von jeder Seite des Gesichtsfeldes. An der Sehnervkreuzung wechseln die nasalen Fasern die Seite – sie werden also kontralateral verschaltet, während die temporalen Fasern auf der ursprünglichen, ipsilateralen Seite verbleiben.

Ein Effekt dieser komplizierten Verschaltung ist, dass jede Hälfte des visuellen Cortex nur Informationen über eine Seite des Gesichtsfeldes erhält – aber von beiden Augen. Ein anderer Effekt ist, dass auf diese Weise das gesamte System auf Effizienz und Schnelligkeit getrimmt wird: So wird schon im Zwischenhirn vom seitlichen Kniehöcker, dem Corpus geniculatum laterale, anhand der Informationen aus den verschiedenen Gesichtsfeldhälften ein Feedback an die Augen „gefunkt“, ob zum Beispiel die Helligkeitsadaptation der Pupille verbessert werden muss. Aufgrund der Überkreuzung führen Schädigungen der Nervenbahnen zu ganz charakteristischen Gesichtsfeldausfällen, die auf die Lokalisation des Defekts schließen lassen (siehe Textbox).

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Verschaltung in Schichten

Jenseits dieser Kreuzung ändert sich die Bezeichnung des Sehnervs: Als Tractus opticus oder Sehtrakt ziehen die meisten Nervenfasern Richtung Hinterkopf. Ein kleiner Teil allerdings hat mit dem bewussten Sehen nichts zu tun, er liefert beispielsweise Input für unsere „innere Uhr“ im Hypothalamus. Der Großteil der Fasern jedoch erreicht mit dem seitlichen Kniehöcker die einzige Umschaltstation zwischen Netzhaut und primärer Sehrinde. Dass es nur diese eine Verschaltstelle gibt, ist entscheidend für unsere Fähigkeit, visuelle Eindrücke nahezu ohne Verzögerung wahrnehmen zu können.

Bereits unter dem Lichtmikroskop lässt sich die Struktur des seitlichen Kniehöckers gut erkennen: Er besteht aus sechs Schichten, die jeweils bestimmte Nervenfasern aufnehmen. (siehe Textbox). Der CGL verteilt den Informationsfluss auf die Sehstrahlung, lateinisch Radiatio optica, die das letzte Stück Weg zur Sehrinde des Gehirns überbrückt.

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Übermittlung einer Landkarte

Der Ausdruck Sehstrahlung macht auf das bemerkenswerte Detail der retinotopen Organisation aufmerksam: Bestimmte Netzhautbezirke senden Signale nur an bestimmte, immer gleiche Regionen des visuellen Cortex. Was also von benachbarten Fotorezeptoren der Netzhaut an Impulsen kommt, wird auch von benachbarten Cortexneuronen bearbeitet. Auf diese Weise wird eine Art Landkarte des Gesehenen übermittelt, wobei diese Landkarte stark verzerrt ist. Das hat seinen Sinn: Was auch immer wir fokussieren – und vermutlich tun wir dies aus guten Grund – , dessen Abbild fällt auf die Fovea, den Ort des schärfsten Sehens auf der Netzhaut. Entsprechend wird diese Region überproportional betont: Um die 80 Prozent des primären visuellen Cortex beschäftigen sich mit Impulsen aus der Fovea, die selbst keinen Millimeter groß ist.

Diese Fokussierung auf die Fovea scheint auf den ersten Blick wie Betrug, wird doch unsere visuelle Wahrnehmung ohne unser Wissen radikal reduziert. Tatsächlich jedoch ist sie durchaus sinnvoll. Denn hätten wir über die gesamte Netzhaut ein Auflösungsvermögen wie in der Fovea, bräuchten wir einen Sehnerv ganz anderen Ausmaßes. Er hätte dann den Durchmesser eines Elefantenrüssels, und entsprechend groß wäre auch der Blinde Fleck.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Auf Leistung getrimmter Bauplan

In der Sehrinde erst beginnt die eigentliche Analyse. Und sie beginnt rasend schnell: Von der Codierung des Bildes in der Netzhaut bis zu den ersten messbaren Impulsen in der primären Sehrinde vergehen bei gesunden Menschen kaum 100 Millisekunden. Möglich macht diese Geschwindigkeit – neben der Reduktion auf nur eine Umschaltstelle – die Ummantelung der Nervenfasern mit Myelinhüllen, die eine sehr hohe Leitungsgeschwindigkeit erlauben. So können wir uns dank des auf Leistung getrimmten Bauplans jederzeit sicher sein, dass das, was wir sehen, auch gerade passiert — außer das Fernsehen schummelt.

Veröffentlichung: am 03.11.2010
Aktualisierung: 13.01.2017

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