Traumatische Folgen fürs Gehirn

Grafik: MW

Das Schädel-Hirn-Trauma ist die „große“ Gehirnerschütterung. Groß und vielfältig sind die Erschütterungen für die Nervenzellen in der Tat.     

Scientific support: Prof. Dr. Bernd Knöll

Published: 15.06.2022

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Es gibt verschiedene Arten von Schädel-Hirn-Traumata. Bei einem gedeckten Hirntrauma ist die Dura, die äußerste Hirnhaut, noch intakt. Bei einem offenen hingegen zerrissen. Hirnwasser, Blut und Gehirnmasse können austreten. 
  • Es gibt verschiedene Schweregrade – eins bis drei – eingeteilt anhand einer Skala.
  • Zu Beginn des Hirntraumas steht der mechanische Schaden. Die Stoßwelle kann zu Quetschungen und Blutungen führen.  
  • Als sekundärer Schaden kann auch die Blut-Hirn-Schranke geschädigt und die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zellen, in Mitleidenschaft gezogen werden. 
  • Ein Hirntrauma kann den Dickdarm durchlässiger machen, sodass schädliche Mikroben aus dem Darm in andere Bereiche des Körpers wandern können.

Die Therapie bei einem Schädel-Hirn-Trauma hängt vom Ausmaß der Verletzung ab. Leichtere Formen wie eine Gehirnerschütterung erfordern meist keine umfassende Behandlung.

Erstversorgung

Halten Sie die Person mit Schädel-Hirn-Trauma ruhig. Kopf und Schultern des Verletzten sollten im Liegen leicht angehoben sein. Bewegen Sie den Betreffenden nur, wenn es nicht anders geht. Bewegen Sie aber nicht den Hals des Betroffenen. Falls nötig, stillen Sie eine Blutung. Dafür können Sie mit Hilfe steriler Gaze oder einem sauberen Tuch festen Druck auf die Wunde ausüben. Üben Sie jedoch keinen direkten Druck auf die Wunde aus, wenn Sie eine Schädelfraktur vermuten. Achten Sie auf Veränderungen bei der Atmung und Wachheit. Wenn der Betroffene keine Atmung, kein Husten oder keine Bewegung zeigt, machen Sie sich an eine Herz-Lungen-Wiederbelebung.

Wer im Boxring steht, muss einiges einstecken können. Wie heftig die Boxhandschuhe des Gegners tatsächlich gegen den Schädel der Athleten knallen, darüber gehen die Zahlen auseinander – abhängig davon, ob man Profiboxer oder Amateure untersucht, und in welcher Gewichtsklasse die Boxer kämpfen.  Eine Studie  nahm Boxer, die an den Olympischen Spielen teilgenommen hatten, unter die Lupe: Sie erzielten im Durchschnitt eine Schlagkraft von mehr als 3.400 Newton. Zur Orientierung: Um beispielsweise einen Backstein zu zertrümmern – eine beliebte Disziplin bei Kampfkunst-Demonstrationen –, reichen nach Schätzungen rund 3.200 Newton. 

Kein Wunder, dass Schläge mit so viel Intensität zu einem Schädel-Hirn-Trauma bei Boxern führen können. Davon gibt es verschiedene Arten. Ein gedecktes Schädel-Hirn-Trauma etwa entsteht durch eine schnelle Vor- oder Rückwärtsbewegung und eine Erschütterung des Gehirns innerhalb des knöchernen Schädels. Das führt zu Quetschungen und Rissen im Hirngewebe und in den Blutgefäßen. Die Dura, die äußerste Hirnhaut, ist dabei noch intakt.

Bei einem offenen Schädel-Hirn-Trauma ist die Dura dagegen zerrissen. Hirnwasser, Blut und Gehirnmasse können austreten. Das Risiko für eine Entzündung der harten Hirnhaut, für eine Gehirnentzündung oder für Eiteransammlungen im Gehirn steigt dadurch beträchtlich an.

Drei Schweregrade der Verletzung

Das Schädel-Hirn-Trauma kann unterschiedlich schwer ausfallen. Die Schwere der Bewusstseinsstörung und somit auch des Traumas lässt sich mittels der so genannten Glasgow-Koma-Skala einschätzen. Sie nimmt drei Funktionen des Bewusstseins in den Blick: Augen öffnen, verbale Kommunikation und motorische Reaktion. Je höher der Wert auf einer Skala von drei bis 15 ausfällt, umso leichter ist die Bewusstseinsstörung und das Schädel-Hirn-Trauma:

Ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, eine „Gehirnerschütterung“, entspricht einem Wert von 13–15 Punkten. Hierbei lässt sich keine dauerhafte Schädigung der Hirnstrukturen nachweisen. Zu den Symptomen zählt eine unmittelbar einsetzende Bewusstlosigkeit. Sie dauert jedoch nicht länger als Sekunden bis Minuten an. 

Von einem Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades, einer „Gehirnprellung“, spricht man bei einem Wert von 9–12 Punkten auf der Koma-Skala. Die Hirnsubstanz ist geschädigt. Die Symptome entsprechen denen des ersten Grades. Allerdings hält die Bewusstlosigkeit länger als 15 Minuten an. 

Ein Hirntrauma dritten Grades, eine „Gehirnquetschung“, liegt bei 3–8 Punkten vor. Es wird durch Drucksteigerungen im Schädel oder direkte Verletzung verursacht. Die Symptome entsprechen denen von Hirntraumata ersten und zweiten Grades. Allerdings hält die Bewusstlosigkeit mindestens 30 - 60 Minuten an und kann sogar über Tage oder gar Wochen bestehen.

Auge

Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb

Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.

Auf die Druckwelle folgt die Kettenreaktion

Im Gehirn passiert durch die Erschütterung vieles nacheinander. „Zunächst läuft eine Stoßwelle durch das Gehirn“, sagt der Neurologe Claus Wallesch, ehemaliger Ärztlicher Direktor der BDH-Klinik Elzach. „Und zwar von der Stelle ausgehend, die durch einen Stoß oder Schlag getroffen wurde.“ Die Welle darf man sich dabei nicht wie in einem See mit einem Auf und Ab vorstellen, sondern als eine Welle mit höherem und niedrigerem Druck. „Der Impuls durch den Stoß wird unter dem Knochen nur weitergeleitet“, so Wallesch. Das kann zu Quetschungen und Blutungen unter der Aufprallstelle führen. Die Stoßwelle schwappt zudem an der anderen Seite des Schädels wieder an den Knochen. Hier kann es ebenfalls zu Quetschungen und Blutungen kommen. 

„Besonders heftig läuft die Druckwelle durch den Hirnstamm, da im Hinterhauptsloch der einzige Druckausgleich für den Schädel besteht“, erklärt Wallesch. Es komme in der Folge bei schwereren Traumata zu Hirnstammsymptomen wie Bewegungs- und Sprechstörungen. „Die Stoßwelle mit höherem und niedrigerem Druck führt zudem zu Dehnungen bei Axonen, die senkrecht zur Wellenfront stehen.“ 

Eine regelrechte Kettenreaktion setzt in der Folge ein. Die Dehnung der Nervenzellfortsätze (Axone) führt zu Aktionspotenzialen, die wiederum erregende Botenstoffe wie Glutamat freisetzen. Und das verursacht einen massiven Kaliumausstrom aus den Axonen. Das erfordert eine verstärkte Aktivität von Ionenpumpen der Zellmembranen, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Nun geraten die Mitochondrien, die „Kraftwerke“ der Zellen, unter Stress. Sie müssen den zelleigenen Energieträger ATP produzieren. Dabei entsteht Laktat, was wiederum zu einem Kalziumeinstrom in die Zelle führt und die Mitochondrien zusätzlich schädigt. In der Folge wird die Produktion von ATP weiter gedrosselt und es kommt letztlich zu einer programmierten Form des Zelltods.

Axon

Axon/-/axon

Das Axon ist der Fortsatz der Nervenzelle, der für die Weiterleitung eines Nervenimpulses zur nächsten Zelle zuständig ist. Ein Axon kann sich vielfach verzweigen, und so eine Vielzahl nachgeschalteter Nervenzellen erreichen. Seine Länge kann mehr als einen Meter betragen. Das Axon endet in einer oder mehreren Synapse(n).

Glutamat

Glutamat/-/glutamate

Glutamat ist eine Aminosäure und der wichtigste erregende (exzitatorische) Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient.

Axon

Axon/-/axon

Das Axon ist der Fortsatz der Nervenzelle, der für die Weiterleitung eines Nervenimpulses zur nächsten Zelle zuständig ist. Ein Axon kann sich vielfach verzweigen, und so eine Vielzahl nachgeschalteter Nervenzellen erreichen. Seine Länge kann mehr als einen Meter betragen. Das Axon endet in einer oder mehreren Synapse(n).

Mitochondrien

Mitochondrien/-/mitochondria

Mitochondrien sind Organellen im Inneren einer Zelle, sie werden auch als „Kraftwerk“ der Zellen bezeichnet, da sie diese mit Energie versorgen. Sie haben eine eigene DNA, die nur über die Mutter vererbt wird.

Durchlässige Blut-Hirn-Schranke

Der programmierte Zelltod bedeutet ein Absterben von Zellen. Und die ursprüngliche Stoßwelle zerreißt zudem kleine Blutgefäße. Beides schädigt die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn vor Krankheitserregern und Giftstoffen schützen soll. Im Rahmen einer  Studie  untersuchten Forscher die Gehirne von jugendlichen Rugbyspielern. Zehn von 19 wiesen am Ende der Saison Anzeichen einer undichten Blut-Hirn-Schranke infolge von milden Hirntraumata auf.

Als wäre das nicht genug, setzen Entzündungs- und Reparaturprozesse den Nervenzellen zu. „Nach einer einzigen Hirnverletzung setzen Reparaturmechanismen im Gehirn ein, die bereits zu alzheimerähnlichen Ablagerungen führen können“, sagt Hans Förstl, emeritierter Professor der Technischen Universität München. Aber dabei handele es sich noch nicht um einen zwangsläufig fortschreitenden Prozess. „Wenn das Gehirn aber durch wiederholte, auch geringfügige Schädel-Hirn-Traumata immer wieder angeschlagen wird, kommt es zu fortwährenden Entzündungs- und Reparaturprozessen“, so der Neurologe und Psychiater. Dadurch würden Nervenzellen in Narbengewebe umgebaut. 

Nervenzelltypen unterschiedlich erschüttert

Von den Auswirkungen eines Hirntraumas sind verschiedene Zelltypen betroffen. Forscher um den Neurobiologen Fernando Gomez-Pinilla von der University of California, Los Angeles nahmen bei Mäusen einen Zellverband mit mehreren tausend Zellen des Hippocampus  unter die Lupe . Jede Zelle verfügt über die gleiche DNA. Aber welche Gene aktiviert werden, ist von Zelltyp zu Zelltyp unterschiedlich. Die Wissenschaftler verglichen Nager mit hirntraumaähnlichen Verletzungen mit unversehrten Tieren. Dabei fanden sie Hinweise darauf, dass mehrere Zelltypen im Gehirn durch ein Hirntrauma negativ beeinflusst werden, einige stärker als andere. Zum Beispiel wird das Gen Id2 durch ein Schädel-Hirn-Trauma in so genannten Körnerzellen im Hippocampus häufiger abgelesen. Das gleiche Gen wird auch im Zuge von epileptischen Anfällen hochreguliert.  

Doch nicht nur das Gehirn lässt sich erschüttern, sondern auch periphere Organe wie der Darm. Ein Hirntrauma kann den Dickdarm durchlässiger machen, sodass schädliche Mikroben aus dem Darm in andere Bereiche des Körpers wandern können, 
wie eine weitere Studie zeigt . Die Ursache dafür ist bislang noch unbekannt.

Hirntrauma, eine Frage des Geschlechts

Das Risiko, ein Hirntrauma zu erleiden, hängt übrigens vom Geschlecht ab. Eine  Studie  wertete die Daten von rund 43.000 männlichen und 39.000 weiblichen Fußballballspielern aus Schulen in Michigan über drei Schuljahre hinweg aus. Die Wahrscheinlichkeit einer Gehirnerschütterung war bei Mädchen rund 1,8-mal höher als bei Jungen. Zum Teil könnte das daran liegen, dass weibliche Athleten stärker dazu neigen, von Symptomen zu berichten. Alternativ könnte das unterschiedliche Risiko eine Folge der physiologischen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Sportlern sein.

Die Therapie bei einem Schädel-Hirn-Trauma hängt vom Ausmaß der Verletzung ab. Leichtere Formen wie eine Gehirnerschütterung erfordern meist keine umfassende Behandlung. Hier rät der Arzt zu einigen Tagen Bettruhe, manchmal bleibt der Patient für 24 Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus. Treten in dieser Zeit zunehmend Symptome eines Schädel-Hirn-Traumas auf, lassen sich Folgen wie etwa eine Hirnblutung, schnell erkennen und behandeln. 

Liegt hingegen ein schwerwiegenderes Hirntrauma vor, lässt sich ein Klinikaufenthalt nicht umgehen. Ist der Betroffene bewusstlos, zielen die ersten Behandlungsmaßnahmen bereits am Unfallort darauf ab, Kreislauf und Atmung zu sichern. Ansonsten stecken viele Behandlungsansätze noch in der Versuchsphase. „Bei schweren Schädel-Hirn-Traumata wird therapeutisch versuchsweise die Kühlung eingesetzt“, sagt Wallesch. Sie sei aber umstritten. Im Tierversuch funktioniere sie zwar, aber nicht beim Menschen. „Auch nicht hundert Prozent evidenzbasiert ist die Hemikraniektomie, bei der ein großes Stück der Schädeldecke entfernt wird, um Schäden durch die Hirnschwellung abzuwenden.“

Zum Weiterlesen

  • Walilko TJ, Viano DC, Bir CA: Biomechanics of the head for Olympic boxer punches to the face. British Journal of Sports Medicine 2005;39:710-719 ( Zum Volltext ).  http://dx.doi.org/10.1136/bjsm.2004.014126
  • O'Keeffe , E. et al.: Dynamic Blood-Brain Barrier Regulation in Mild Traumatic Brain Injury. J Neurotrauma  . 2020 Jan 15;37(2):347-356 ( Zum Abstract ).   https://doi.org/10.1089/neu.2019.6483
  • Arneson, D., Zhang, G., Ying, Z. et al. Single cell molecular alterations reveal target cells and pathways of concussive brain injury. Nat Commun 2018: 9, 3894 ( zum Abstract ). https://doi.org/10.1038/s41467-018-06222-0
  • Ma EL, Smith AD, Desai N, et al. Bidirectional brain-gut interactions and chronic pathological changes after traumatic brain injury in mice. Brain Behav Immun. 2017;66:56-69 ( zum Volltext ).  https://doi.org/10.1016%2Fj.bbi.2017.06.018
  • Bretzin , A.C. et al.: Association of Sex With Adolescent Soccer Concussion Incidence and Characteristics.  JAMA Netw Open,  2021 Apr 1;4(4):e218191( zum Volltext ). https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2021.8191

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