Langeweile – ein zweischneidiges Schwert

Grafik: MW

Langeweile ist ein lästiges Gefühl, das wir gerne so schnell wie möglich loswerden möchten. Dabei hat auch diese Emotion ihre guten Seiten. Sie treibt uns etwa dazu an, etwas Neues zu tun. 

Scientific support: Dr. Isabell Winkler

Published: 01.05.2024

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Langeweile entsteht aus Unter- oder Überforderung oder wenn wir unsere aktuelle Tätigkeit für bedeutungslos halten. 
  • Menschen machen lieber etwa Anstrengendes als sich zu langweilen 
  • Langeweile ist geprägt von einer stärkeren Aktivität im Ruhezustandsnetzwerk im Gehirn. Es wird immer dann tätig, wenn äußere Stimulation fehlt.  
  • Langeweile kann zu Frustessen oder sadistischem Verhalten führen
  • Das Gefühl hat aber auch positive Seiten, motiviert uns Neues auszuprobieren, außerdem kann Langeweile zu Kreativität führen.   
Selbsterfüllende Prophezeiung

Die Psychologin Katy Tam von der University of Hong Kong fand heraus: Die bloße Erwartung, dass eine Vorlesung langweilig sein wird, führte bei Studienteilnehmern dazu, dass sie sich letztendlich mehr langweilten. Das galt selbst dann, wenn die Erwartung ursprünglich nicht von den Probanden selbst kam. Die Behauptung der Forscher, eine Vorlesung werde unglaublich langweilig sein, machte sie für die Versuchspersonen langweiliger.   

„Der allgemeine Überblick zeigt uns als die beiden Feinde des menschlichen Glückes, den Schmerz und die Langeweile.“ So klagte bereits vor mehr als 150 Jahren der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer, und noch hat die Lageweile einen schlechten Ruf. In einer Welt, die ständig vor Aktivität und Ablenkung pulsiert, gilt sie als bloße Zeitverschwendung, eine lästige Emotion, die wir schnellstmöglich vertreiben möchten. Wer mag schon das Gefühl, wenn die Zeit sich wie Kaugummi dehnt und der Zeiger der Uhr stehenzubleiben scheint? Dann greift man doch lieber schnell zum Smartphone. 

 

Dabei zeigt die Forschung: Langeweile ist nicht so eindimensional wie sich die Emotion oft anfühlt. Das Gefühl entstehe, wenn sich Menschen entweder unterfordert oder überfordert fühlten, sagt der Psychologe Thomas Götz von der Universität Wien. „Oder wenn einem das, was man gerade macht, als wenig sinnvoll erscheint.“ In Schulen beispielsweise wird der Lehrstoff auf einem bestimmten Niveau vermittelt. Dabei gibt es immer Schülerinnen und Schüler, die sich überfordert oder unterfordert fühlen. „Wer überfordert ist, schaltet irgendwann ab, versteht nichts mehr.“  

 

Langeweile wird von vielen als so drückend empfunden, dass sie einiges tun, um sie loszuwerden. Wir scheuen dann nicht einmal Anstrengungen, vor denen wir sonst eher zurückschrecken. Das haben Forscher um den Psychologen Raymond Wu von der University of British Columbia  herausgefunden.  In ihrer Studie hatten die Teilnehmer die Qual der Wahl: beispielsweise unterschiedlich schwierige Additionsaufgaben zu bewältigen oder einen leeren Bildschirm zu betrachten. Es zeigte sich: die Probanden zogen schwierigere Aufgaben dem Nichtstun vor.  In einer anderen Studie  gaben sich Versuchspersonen sogar lieber selbst Elektroschocks, als untätig zu bleiben. 

Vom Nichtstun zur Erfüllung

Um solche Phänomene zu verstehen, untersuchen Forscher auch einen Gefühlszustand, der der Langeweile entgegengesetzt ist - das Flow-Erlebnis. Dabei gehen wir völlig in einer Tätigkeit auf, sie geht uns wie von selbst von der Hand und wir empfinden Freude dabei. „Das Erleben von Flow ist relativ definiert, und zwar in Relation zum Erleben von Langeweile und Überforderung.“, erklärt der Psychologe Georg Grön, Leiter der Sektion Neuropsychologie und Funktionelle Bildgebung am Uniklinikum Ulm. „Ist eine Tätigkeit zu einfach, dann wird es einem schnell langweilig; ist eine Tätigkeit hingegen zu schwer, erleben wir uns überfordert.“ Dazwischen gebe es ein Fenster, wo die Tätigkeit weder das eine noch das andere ist. „Liegt unser Tun in diesem Fenster oder in dieser Zone, dann wird der zugehörige Zustand als angenehm erlebt. Wir sind im Flow.“  

Georg Grön hat zusammen mit Kollegen 
herausgefunden:  „Das Flow-Erleben kommt sehr wahrscheinlich hauptsächlich dadurch zustande, dass mindestens zwei bestimmte Gehirnregionen in ihrer Aktivität herunterreguliert werden.“ Damit wir uns „im Fluss“ fühlen, müssen sich nämlich der mediale präfrontale Cortex und die Amygdala zurückhalten. Der mediale präfrontale Cortex kommt beim Nachdenken über einen selbst zum Zug. Eine geringere Aktivität dieser Hirnregion während des Flowzustands bedeutet daher wahrscheinlich, dass weniger selbst-reflexive Gedanken im Moment des Handelns eine Rolle spielen. „Diese Selbstreflexionen haben auch bei gesunden Menschen häufig eine negative Bedeutung“, sagt Georg Grön. Trete nun solch eine negativ gefärbte Selbstreflexion während des Flows weniger auf, entstehe gewissermaßen ein positives Gefühl. Sehr plakativ ausgedrückt verschafft das Flow-Erleben einen Kurzurlaub vom „Ich“. 

Hinzu kommt eine verminderte Aktivierung des Mandelkerns, dessen Tätigkeit mit emotionaler Erregung in Verbindung steht. „Die gemeinsam verminderte Aktivierung beider Regionen im Flowzustand hat dann zur Folge, dass man sich weniger mit sich selbst beschäftigt und die emotionale Belastung bei der Aufgabenerledigung weniger vordergründig ist.“ In der Folge ist man ganz auf die Tätigkeit fokussiert und man erledigt sie „gefühlt“ mühelos. 

Bei Langeweile hingegen ist es umgekehrt. Man ist etwa von einer Tätigkeit unterfordert oder die Tätigkeit ist schlicht bedeutungslos für einen. Im Gehirn sind bei Langeweile der mediale präfrontale Cortex und der Mandelkern aktiv. In der Folge wird die Tätigkeit laut Georg Grön begleitet von selbst-reflexiven Gedanken wie etwa „Warum muss ich diese Aufgabe überhaupt machen“ oder „Bin ich konzentriert genug?“. Hinzu komme eine in der Regel negativ gefärbte emotionale Erregung. 
Studien anderer Forscher  zeigen zudem: Bei Langeweile ist das sogenannte Ruhezustandsnetzwerk stärker aktiv, zu dem auch der mediale präfrontale Cortex gehört. Dieses Netzwerk steigert immer dann seine Tätigkeit, wenn wir nicht von äußeren Reizen in Anspruch genommen werden, sondern unseren Gedanken nachhängen. 

Die Leere füllen 

Keine Frage: Langeweile fühlt sich nicht nur äußert unangenehm an, sondern kann auch unangenehme Folgen haben. So versuchen manche Menschen die innere Leere im wahrsten Sinne des Wortes zu füllen: mit Essen.  In einer Studie war eine gewisse Neigung zur Langeweile mit emotionalem Essen verknüpft. Dabei greifen Menschen aus negativen Gefühlen heraus zu Nahrungsmitteln. Was möglicherweise in Zeiten des Mangels ein sinnvolles Verhalten war, führt heutzutage jedoch zu Übergewicht und gesundheitlichen Problemen.

Aus Langeweile heraus können wir aber auch dazu neigen, anderen Lebewesen Schaden zuzufügen.  Dies zeigt eine Studie , bei der Forscher der einen Hälfte von Probanden einen Film über einen Wasserfall zeigten. 20 Minuten lang war nur der Wasserfall zu sehen, – zum Gähnen. Die andere Hälfte bekam einen deutlich unterhaltsameren Film über die Alpen zu sehen. Während des Films konnten die Teilnehmer in einer Kaffeemühle Maden schreddern, wenn sie wollten. (In Wahrheit kamen die Maden in der Kaffeemühle nicht wirklich zu Schaden). Ergebnis: Die meisten Probanden zerkleinerten keine Maden. Von den 13 Personen, die es dennoch taten, gehörten 12 zu der Gruppe mit dem langweiligen Video. Das Zerkleinern der Maden ging bei den Versuchspersonen zudem mit einem Gefühl der Befriedigung einher. Offenbar löste also Langeweile bei ihnen sadistisches Verhalten aus. 

Ein Zeichen für verschwendete Zeit

Doch das ist nur eine Seite von Langeweile. So nervtötend das Gefühl ist, es hat auch positive Seiten. „Langeweile hat eine wichtige Funktion“, sagt Thomas Götz, der Wiener Psychologe. Sie signalisiere uns, dass unsere aktuelle Beschäftigung oder Situation für uns unwichtig oder sinnlos ist. „Dadurch, dass sich Langeweile unangenehm anfühlt, sendet sie uns den Impuls, etwas anderes zu machen“" Sie bringe uns dazu, darüber nachzudenken, ob man sich überfordert fühlt, unterfordert fühlt oder ob man die aktuelle Situation für nicht sinnvoll hält. „Dann kann man versuchen, die Tätigkeit dem eigenen Leistungsniveau anzupassen, der jetzigen Tätigkeit mehr Sinn zu verleihen oder eine andere Tätigkeit anzufangen.“

Der Impuls etwas Neues zu tun, könne sowohl zu etwas Negativem führen als auch zu etwas Positivem, so Götz. Er verweist etwa auf Straftäter, die häufiger davon berichten, dass sie die Straftat aus purer Langeweile begangen haben. Langeweile könne aber auch unter Umständen kreativ machen, vor allem, wenn man sich aus Unterforderung langweilt, so Götz. So ging es wohl Albert Einstein, als er beim Berner Patentamt als Patentreferent tätig war. Während er monotoner Arbeit nachging, Akten ordnete und über drögen Papieren brütete, konnte sein Geist ungestört wandern, was ihn zu einigen seiner größten wissenschaftlichen Entdeckungen führte. Ein guter Grund also das Smartphone wegzupacken und die eigenen Ideen sprudeln zu lassen. Es muss ja nicht gleich die Relativitätstheorie herauskommen.

Zum Weiterlesen

  • Ausgabe; Vol. (Ausgabe):Seitenzahl von-bis (zum Volltext/ zum Abstract). [URL]
  •  Wu, R. et al.: Do humans prefer cognitive effort over doing nothing? J Exp Psychol Gen 2023 Apr;152(4):1069-1079. ( zum Abstract )
  • Sackett AM, Meyvis T, Nelson LD, Converse BA, Sackett AL. You're having fun when time flies: the hedonic consequences of subjective time progression.  Psychol Sci. 2010;21(1):111-117. ( zum Abstract )
  • Pfattheicher, S. et al: On the relation of boredom and sadistic aggression.  J Pers Soc Psychol  2021 Sep;121(3):573-600. ( zum Abstract )

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