Astrozyten-Netzwerke steuern räumliches Lernen und Gedächtnis

© Ladina Hösli, UZH
Netzwerk von Astrozyten im Hippocampus einer Maus unter dem Fluoreszenzmikroskop.

Astrozyten bilden im zentralen Nervensystem grosse Netzwerke miteinander verbundener Zellen. Werden diese Verbindungen im Gehirn erwachsener Mäuse unterbrochen, können die Tiere keine räumlichen Informationen mehr speichern. Das Astrozyten-Netzwerk ist somit essenziell für räumliches Lernen und Gedächtnisbildung, wie Neurowissenschaftler der Universität Zürich zeigen.

Source: Universität Zürich

Published: 08.03.2022

Im Gehirn arbeiten Neuronen und Astrozyten zusammen, um Informationen zu verarbeiten sowie komplexes Verhalten und kognitive Fähigkeiten zu ermöglichen. Astrozyten haben viele Funktionen: So kontrollieren sie etwa die Blut-Hirn-Schranke, versorgen das Nervengewebe mit Nährstoffen und unterstützen dessen Reparatur. Zudem bilden Astrozyten grosse Netzwerke von miteinander verbundenen Zellen. Diese Zell-Zell-Kopplungen bestehen aus Membranporen, die von einer Gruppe von Proteinen namens Connexine gebildet werden. Und durch diese Verbindungen können Astrozyten miteinander kommunizieren, indem sie Ionen und kleine Moleküle austauschen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Astrozyt

Astrozyt/-/astrocyte, astroglia

Astrozyten sind die größten unter den Gliazellen. Zu ihren Aufgaben gehören z.B. die Immunabwehr (auch Blut-​Hirn-​Schranke) oder die Wiederaufnahme ausgeschütteter Neurotransmitter (Botenstoffen im Gehirn).

Abschalten der Astrozyten-Kopplungen stört räumliche Gedächtnisbildung

Ein Team von Neurowissenschaftlern unter der Leitung von Aiman Saab und Bruno Weber vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich (UZH) hat nun herausgefunden, dass die Astrozyten-Kopplung im erwachsenen Gehirn von Mäusen dazu beiträgt, dass der Hippocampus funktioniert – eine Hirnregion, die mitverantwortlich dafür ist, dass sich räumliches Gedächtnis bilden kann. «Wir haben herausgefunden, dass im Erwachsenenalter ein intaktes Astrozyten-Netzwerk wesentlich ist für das physiologische Gleichgewicht des Nervengewebes, die Plastizität des neuronalen Netzwerks und die räumlichen kognitiven Fähigkeiten dieser Hirnregion», sagt Aiman Saab, Letztautor der Studie.

Um zu klären, welche Bedeutung ein funktionierendes Astrozyten-Netzwerk hat, erzeugten die Forscher ein Mausmodell, bei dem die beiden wichtigsten Connexine, die für die Zell-Zell-Kopplungen verantwortlich sind, selektiv inaktiviert werden können. Wurden die entsprechenden Gene bei den Tieren ausgeschaltet, verloren die Astrozyten ihre Fähigkeit, ihre interzellulären Netzwerke aufrechtzuerhalten. Innerhalb weniger Wochen waren die zellulären Verbindungen gestört.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Plastizität

Plastizität/-/neuroplasticity

Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Astrozyt

Astrozyt/-/astrocyte, astroglia

Astrozyten sind die größten unter den Gliazellen. Zu ihren Aufgaben gehören z.B. die Immunabwehr (auch Blut-​Hirn-​Schranke) oder die Wiederaufnahme ausgeschütteter Neurotransmitter (Botenstoffen im Gehirn).

Astrozyten-Netzwerk ist entscheidend für Gehirnfunktion erwachsener Mäuse

Die Unterbrechung des Astrozyten-Netzwerks veränderte zudem die Erregbarkeit der Neuronen im Hippocampus und ihre Signalübertragung an den Synapsen. Auch die Stärkung dieser neuronalen Verknüpfungen, die zur Speicherung synaptischer Informationen benötigt werden, waren von den inaktivierten Porenproteinen beeinträchtigt. Die Folge: erhebliche Defizite beim räumlichen Lernen und der Gedächtnisbildung. «Bekannt war, dass Astrozyten an der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten beteiligt sind. Unsere Studie zeigt nun, dass ein intaktes Astrozyten-Netzwerk tatsächlich entscheidend ist für die Bildung des räumlichen Gedächtnisses bei erwachsenen Mäusen», sagt Ladina Hösli, Erstautorin der Studie.
 

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Synapse

Synapse/-/synapse

Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.

Astrozyt

Astrozyt/-/astrocyte, astroglia

Astrozyten sind die größten unter den Gliazellen. Zu ihren Aufgaben gehören z.B. die Immunabwehr (auch Blut-​Hirn-​Schranke) oder die Wiederaufnahme ausgeschütteter Neurotransmitter (Botenstoffen im Gehirn).

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Ähnlichkeiten zu neurodegenerativen Erkrankungen und neuropsychiatrischen Störungen

Auch die primären Immunzellen des Gehirns, Mikroglia genannt, sind von dem Verlust der Astrozyten-Kopplung betroffen: Bei den genetisch veränderten Mäusen wurden diese Abwehrzellen auf sehr ähnliche Weise aktiviert, wie dies bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit und neuropsychiatrischen Störungen wie Depressionen der Fall ist. «Astrozyten und Mikrogliazellen änderten nicht nur ihre Form. Wir fanden auch Veränderungen in spezifischen Markern, die charakteristisch sind für diese Zellen im kranken oder nicht mehr funktionierenden Hirn», sagt Hösli.

Die normale Hirnalterung geht ebenfalls mit Veränderungen der Astrozyten-Kopplung einher. Gut möglich also, dass die beobachteten zellulären Veränderungen dazu beitragen, dass Lernfähigkeit und Gedächtnisbildung altersbedingt nachlassen. «Unsere Studie zeigt, dass im erwachsenen Gehirn funktionierende Connexine und ein intaktes Zell-Netzwerk möglicherweise auch wichtig dafür ist, wie Astrozyten und Mikroglia zusammenarbeiten, um das physiologische Gleichgewicht im Nervengewebe aufrechtzuerhalten», sagt Aiman Saab. Als nächstes wollen die Forschenden verstehen, wie sich die Funktionen der Immunzellen verändern, wenn die Astrozyten-Verbindung gestört ist.

Mikroglia

Mikroglia/-/microglia

Der kleinste Typ der Gliazellen ist Teil des zellulären Immunsystems und unter anderem zuständig für die Entfernung abgestorbener Neurone. Mikroglia können sich amöbenartig fortbewegen.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Neurodegeneration

Neurodegeneration/-/neurodegeneration

Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-​Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Astrozyt

Astrozyt/-/astrocyte, astroglia

Astrozyten sind die größten unter den Gliazellen. Zu ihren Aufgaben gehören z.B. die Immunabwehr (auch Blut-​Hirn-​Schranke) oder die Wiederaufnahme ausgeschütteter Neurotransmitter (Botenstoffen im Gehirn).

Originalpublikation

Ladina Hösli, Noemi Binini, Kim David Ferrari, Laetitia Thieren et. al. Decoupling astrocytes in adult mice impairs synaptic plasticity and spatial learning. Cell Reports. March 8, 2022. DOI: 10.1016/j.celrep.2022.110484

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