Question to the brain
Was machen eigentlich Gliazellen?
Published: 11.10.2020
Ich habe gehört, dass es im Gehirn zehnmal mehr Gliazellen als Neurone gibt. Stimmt das? Und was machen diese Gliazellen?
The editor's reply is:
Helmut Kettenmann, Neurobiologe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin: Es gibt keine Region im Gehirn, die keine Gliazellen enthält. Sie kommen auch im peripheren Nervensystem, etwa in den Nerven der Beine und Arme vor. Dort heißen sie Schwannzellen. Im zentralen Nervensystem, dem Gehirn, gibt es drei verschiedene Typen von Gliazellen. Sie heißen Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia. Die Hälfte der Zellen im Gehirn sind Gliazellen. Man erkennt sie an ihrer Gestalt, die anders ist als die der Neuronen. Wir haben mittlerweile Möglichkeiten, die verschiedenen Typen der Gliazellen gezielt anzufärben und unter dem Mikroskop sichtbar zu machen.
Die Oligodendrozyten bilden die Umhüllung der Nervenfortsätze, das Myelin. Sie ermöglichen so eine hohe Leitungsgeschwindigkeit innerhalb der Nervenzelle und damit, dass Informationen im Gehirn schnell von A nach B kommen. Defizite bei den Oligodendrozyten haben zur Folge, dass wichtige Hirnfunktionen ausfallen. Das ist bei der Krankheit Multiple Sklerose der Fall. Das körpereigene Immunsystem greift das Myelin an und es kann nicht mehr ausreichend rasch nachgebildet werden.
Die Astrozyten kontrollieren die Blut-Hirnschranke und entscheiden mit darüber, welche Stoffe ins Gehirn kommen dürfen. Sie interagieren aber auch eng mit den Synapsen. An diesen Schaltstellen zwischen den Nervenzellen findet die Informationsübertragung statt. Jede Synapse besteht aus einer Dreiereinheit: aus zwei Neuronen, dem feuernden und dem empfangenden Neuron, und einer astrozytären Umhüllung der Nervenfortsätze. Letztere kontrolliert die Übertragung und moduliert die Effizienz.
Mikroglia sind das Immunsystem des Gehirns. Sie treten auch mit dem übrigen Immunsystem des Körpers in Austausch. Es gibt keine Krankheit des Gehirns von demenziellen Erkrankungen bis zur Hirnhautentzündung, bei der sie nicht von der Partie sind. Sie werden immer aktiviert und greifen dann in den Krankheitsprozess ein. Die große Frage ist, ob sie dabei das Geschehen dämpfen oder befeuern. Wir wissen das noch nicht genau. Mikroglia sind daneben auch für synaptische Plastizität wichtig, also wenn Verknüpfungen zwischen den Neuronen gestärkt oder abgebaut werden. Solche Umbauprozesse laufen ab, wenn wir heranwachsen und lernen.
Wenn wir das Gehirn intensiv beschäftigen, rege Neues lernen, wirkt das protektiv auf die Gliazellen wie auch auf die Neuronen. Die Gliazellen sind keinesfalls wichtiger als die Neuronen. Alle Zellen im Gehirn müssen in der richtigen Art und Weise zusammenspielen. Auf das gesamte Orchester kommt es an.
Aufgezeichnet von Susanne Donner