Schlaft gut, Leute – wacht endlich auf!

Ausgeschlafen statt aufgeweckt: Schlafbuch-Autor Peter Spork plädiert für eine ausgeschlafenere Gesellschaft und verrät, wie sich das erreichen lässt.
Published: 27.10.2012
Difficulty: intermediate
- Schlaf und Wachsein sind ebenbürtig: Während wir schlummern sind wir genauso aktiv wie im Wachzustand. Gewebserneuerung, Gedächtniskonsolidierung und Immunsystem laufen zur Hochform auf.
- Chronischer Schlafmangel geht auf Kosten der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit und macht langfristig sogar krank. Schlafprobleme stehen im Zentrum vieler psychischer Erkrankungen.
- Mehr Schlaf wäre daher gut für den Einzelnen und die Gesellschaft – ein paar Veränderungen in Tagesrhythmus unseres Arbeitsalltags würden dafür bereits ausreichen.
Anti-Aging steht in den reichen Ländern hoch im Kurs. Sich Zeit fürs aktive Jungbleiben zu nehmen, ist ein Statussymbol: Manager plauschen beim gesund und kalorienarm zusammengestellten Abendessen über neue Joggingrouten. Einige gehen sogar zum Anti-Aging-Mediziner. Doch das natürlichste Verjüngungsprogramm, das der eigene Körper jedem regelmäßig und ohne Extrakosten zur Verfügung stellt, ignorieren gerade die Leistungsträger: Wer besonders viel arbeiten muss, opfert Umfragen zufolge vor allem Schlaf. In Managerkreisen gilt es sogar weiterhin als chic, mit möglichst wenig davon auszukommen.
Das ist so erschreckend kurzsichtig, dass man vielen Entscheidern lieber gar keine Entscheidungen mehr überlassen möchte. Denn im Schlaf verjüngen wir uns rundum: Der Stoffwechsel pendelt ins Gleichgewicht, Blut– und Immunsystem, Haut, Leber, Muskeln und viele andere Organe bilden neue Zellen. Alte Zellen werden aussortiert, Krankheiten und Entzündungen bekämpft. Selbst das Gehirn erfindet sich im Schlaf neu: Es konsolidiert wichtige Gedächtnisinhalte und verwirft unwichtige.
„Wir müssen schlafen, um geistig und immunologisch fit zu bleiben“, sagt der Tübinger Schlafforscher und Leibniz-Preisträger Jan Born. Letztlich sei das Streben nach ausreichendem und tiefem Schlaf aktives Anti-Aging. Er sollte Manager-Seminare leiten, widmet sich aber lieber der Enträtselung des Schlafs.
Wachsein und Schlaf – ein ebenbürtiges Paar
Längst weiß man: Schlaf ist ebenso lebenswichtig wie das Wachsein. Im Schlaf sind wir genauso aktiv wie im Wachzustand, wir verbrauchen fast gleich viel Energie, erledigen zentrale Aufgaben wie Gewebserneuerung, Gedächtniskonsolidierung und Immunisierung. Logische Konsequenz: Chronischer Schlafmangel verringert die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, macht langfristig sogar krank.
Es hat sich zwar herumgesprochen, wie wichtig Wachsein – sprich: Ausgeschlafensein – ist. Aber aufgeweckter sind wir deswegen noch lange nicht. Manager, Politiker, TV-Moderatoren und, besonders fatal, Schulkinder werden so sehr gefordert oder verlangen sich so viel ab, dass sie immer weniger Zeit zum Schlafen haben. Viele Angestellte und Freiberufler verdienen so schlecht, dass sie zu viel arbeiten müssen. Hinzu kommt ein rund um die Uhr laufendes Einkaufs-, Unterhaltungs-, Sport-, Medien– und Zerstreuungsangebot. Freizeitaktivitäten und Arbeit werden uns immer wichtiger, Schlaf bleibt auf der Strecke.
Schlaf als Lebenselexier
Dass die Zahl der Menschen mit Zivilisationsleiden zunimmt, hat sicher auch etwas mit diesem Trend zu tun. „Zumindest beim Diabetes und beim Übergewicht ist der Zusammenhang zwischen Schlafmangel und einer Erhöhung des Erkrankungsrisikos zweifelsfrei belegt“, weiß Ulrich Voderholzer, Somnologe aus Prien am Chiemsee. „Schlafmangel macht krank, dick und dumm“, lautet denn auch der überspitzte aber wissenschaftlich mittlerweile gut unterfütterte Spruch, mit dem Deutschlands „Schlafpapst“, Jürgen Zulley aus Regensburg einst durch die Talkshows tingelte.
Dass die meisten solche Ermahnungen nicht ernst nehmen, hat einen simplen Grund: Es gibt kein Sinnesorgan für die richtige Dosis Schlaf. David Dinges von der University of Pennsylvania, USA, zeigte zwischen 2003 und 2010 mehrfach, dass die kognitiven Leistungen von Probanden, die chronisch zu wenig schlafen, immer weiter nachlassen. Besonders fatal: Die Testpersonen verlieren das Gespür für ihre Müdigkeit und meinen oft, sie kämen mit dem Mangel gut zurecht.
„Im Grunde wissen wir gar nicht mehr, wie gut es uns gehen könnte, wenn wir so richtig ausgeschlafen wären“, sagt Mathias Basner aus Dinges’ Team. Er bezieht sich auf mehrere Studien, für die völlig gesunde Menschen ohne Schlafprobleme sich über mehrere Tage mal so richtig ausschlafen durften. Mal berichteten die Probanden danach von einem „glasklaren Bewusstsein“, mal verbesserten sich Schwimmer auf einer Strecke von 15 Metern um eine halbe Sekunde, Reaktionszeiten verkürzten sich, Stimmungen hellten sich auf.
Es sei absurd, sagt Basner: Alle wüssten, wie gut ihnen Schlaf tue, doch sei den meisten fast alles andere wichtiger als ausreichender Schlaf. Nachdenklich stimmen auch die Aussagen von Psychiatern: „Veränderungen des Schlafs gibt es bei allen psychologischen Erkrankungen“, sagt der Freiburger Psychophysiologe Dieter Riemann. Bei Depressionen werde inzwischen angenommen, dass Schlafstörungen nicht nur Folge, sondern mitunter Auslöser des Leidens seien.
Depression
Depression/-/depression
Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.
Schlafstörungen
Schlafstörung/-/sleep disorder
Ein Sammelbegriff für verschiedene Phänomene, die sich dadurch auszeichnen, dass die Betroffenen keinen erholsamen Schlaf haben. Hierzu können sowohl psychische als auch organische Ursachen beitragen. Die Symptome reichen von Problemen beim Einschlafen und Durchschlafen bis hin zu unerwünschten Verhaltensweisen im Schlaf wie etwa Schlafwandeln, ruhelose Beine beim Einschlafen („restless legs“), Atemaussetzer im Schlaf („Schlafapnoe“) etc. Schätzungen zufolge leiden in den westlichen Ländern bis zu 30 Prozent aller Erwachsenen an irgendeiner Form von Schlafstörung. Die Suche nach den Ursachen ist häufig kompliziert, eine Analyse im Schlaflabor die beste Untersuchungsmethode.
Ausgeschlafenere Gesellschaft – leicht gemacht
Die Forderung kann daher eigentlich nur lauten: Schlaft mehr – sorgt für eine ausgeschlafenere Gesellschaft! Hier möchte ich deshalb sieben Empfehlungen aussprechen, wie sich das erreichen lässt. Sie alle haben ein enormes präventives Potenzial und sind doch mit ein bisschen politischem Willen gar nicht so schwer umzusetzen.
Tipp Nr. 1 – Schlaf als dritte Säule der Prävention
Die Aufklärung über den Schlaf muss Bestandteil der allgemeinen Krankheitsvorsorge werden. Ausreichender Schlaf und Entspannung scheinen für die Gesundheit ähnlich wichtig zu sein wie Bewegung und ausgewogene Ernährung. Wer das verstanden hat, wird sicher auch mal auf die lieb gewonnene Spätsendung im TV verzichten und früher zu Bett gehen.
Tipp Nr. 2 – Nickerchen in Ehren
Ähnlich wie in Japan sollten der Schlaf in der Öffentlichkeit und das Kurznickerchen am Arbeitsplatz gesellschaftliche Anerkennung finden. Auch kurze Schläfchen am Tag helfen nämlich, fehlenden Nachtschlaf nachzuholen und stärken die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.
Tipp Nr. 3 – Flexible Arbeitszeiten für Eulen und Lerchen
Forscher haben herausgefunden: Sowohl die benötigte Dauer als auch der Rhythmus des Schlafs sind individuell verschieden. Arbeitszeiten müssen daher flexibler und die Zahl der Überstunden muss begrenzt werden. Nur so schaffen viele ihr Arbeitspensum und bekommen trotzdem ausreichend gesunden Schlaf.
Tipp Nr. 4 – Weg mit der Sommerzeit
Die Sommerzeit gehört abgeschafft. Es gehört zur Natur der inneren Uhr des Menschen, dass sie sich nach hinten verstellt, wenn es abends länger hell und morgens länger dunkel ist. Dadurch schlafen während der Sommerzeit über mehrere Monate hinweg sehr viele Menschen abends später ein als bei Normalzeit, müssen morgens aber dennoch pünktlich aufstehen. Auch wenn der allnächtliche Effekt gering sein mag, so baut sich allmählich ein ernst zu nehmendes Schlafdefizit auf.
Tipp Nr. 5 – Passt Schulzeiten an die Jugend an, nicht an die Lehrer
Zumindest ab der Mittelstufe sollte die Schule später beginnen, damit Schüler mit hohem Schlafbedarf oder spätem Chronotyp (Eulen) nicht benachteiligt sind. Ab der Pubertät bis etwa Anfang 20 ticken alle Menschen zeitverzögert, so dass sie deutlich später abends müde und morgens wach werden als beispielsweise die Mehrheit ihrer Lehrer. Zusätzlich sollten G-8-Gymnasien Lehrpläné entschlacken oder zu G-9 zurückkehren, damit Schüler nicht – wie derzeit üblich – Schlaf für Zeit zum Lernen opfern müssen.
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Tipp Nr. 6 – Mehr Rhythmus wagen
Wir brauchen eine stärkere Rhythmisierung des Alltags: Tagsüber sollten wir Arbeit und Unterricht unterbrechen, um ans Tageslicht zu gehen und Zeit für körperliche Aktivität zu haben. Nachts sollten wir dagegen weniger aktiv sein und früher zu Bett gehen. Die Chronobiologie hat eindeutig belegt, dass solche Maßnahmen das Signal der inneren Uhr verstärken. Und das lässt uns wiederum tiefer und erholsamer schlafen.
Tipp Nr. 7 – Intelligenter Einsatz von Licht und Dunkelheit
Moderne Erkenntnisse der Chronobiologie zur Schichtarbeit und zum Einfluss von Licht müssen ernst genommen werden. Wechselschicht– und Nachtarbeit destabilisieren innere Rhythmen, der gezielte Einsatz von Chronotyp-Tests kann helfen, dass Menschen nur in jenen Schichten eingesetzt werden, die sie halbwegs gut vertragen. Außerdem kann helles Licht zur rechten Zeit negative Effekte der Schichtarbeit abmildern oder Rhythmen insgesamt weiter stabilisieren. Vor allem vormittags brauchen zudem auch Menschen, die zu normalen Zeiten arbeiten, mehr helles Licht, zur Not durch Tageslichtlampen.
Die berühmtesten deutschen Langschläfer, Johann Wolfgang von Goethe, der einst über den Schlaf dichtete, und Albert Einstein, der tagsüber zahlreiche Kurznickerchen machte, hätten dieses Programm bestimmt unterstützt. Ein Programm übrigens, das nicht nur den reichen Ländern gut anstehen würde: Schlafmangel wächst sich gerade zur globalen Epidemie aus. Saverio Stranges und Kollegen aus Warwick, Großbritannien, folgern im August 2012 im Fachblatt Sleep aus Daten von 40.000 Menschen in Afrika und Asien, dass auch in den ärmeren Teilen der Welt etwa 150 Millionen an Schlafproblemen leiden.
zum Weiterlesen:
- Spork, P.: Das Schlafbuch. Warum wir schlafen und wie es uns am besten gelingt. Rowohlt Verlag, 2007.