Das Kleinhirn

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Author: Hanna Drimalla

Akkurat gegliedert liegt das Kleinhirn hinten im Schädel. Doch sein gleichförmiger Aufbau täuscht: Präzise koordiniert es Bewegungen und scheint zudem bei einer Vielzahl emotionaler und kognitiver Fähigkeiten beteiligt zu sein.

Scientific support: Prof. Dr. Jochen F. Staiger

Published: 26.07.2011

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze

Seiltänzer, Pianisten oder Baseballspieler führen uns die Leistungen des Kleinhirns vor Augen. Doch selbst der Griff zur gefüllten Kaffetasse ist komplex: Wo steht die Tasse? Wo befindet sich die Hand, die sie greifen soll? Das Kleinhirn integriert zahlreiche dafür relevante Informationen, koordiniert die Aktivität einer Vielzahl von Muskeln und prüft den Bewegungsablauf. Noch ist unklar, wie genau es arbeitet und inwiefern es bei vielen anderen Aufgaben mitwirkt. Klar ist jedoch, der Name und das geringe Volumen täuschen: Das Kleinhirn ist dem Großhirn in der Komplexität seiner Aufgaben und der Anzahl seiner Neuronen keineswegs unterlegen.

Hinten im Schädel, unterhalb des Großhirns und hinter dem Hirnstamm liegt das Kleinhirn, lateinisch Cerebellum. Von außen sind seine beiden Hälften gut zu erkennen, die – wie die Hälften des Großhirns – als Hemisphären bezeichnet werden. Verbunden sind sie über den wulstförmigen Vermis, den Kleinhirnwurm.

Als 1917 der englische Neurologe Gordon Holmes (1876−1965) Soldaten mit Kleinhirnverletzungen untersuchte, erkannte er: „Das Kleinhirn kann als ein Organ gesehen werden, das Bewegung unterstützt.“ Tatsächlich bestätigen bildgebende Verfahren mittlerweile, dass das Kleinhirn Bewegungen koordiniert und moduliert: Ob man zur Kaffeetasse greift, Klavier spielt oder einen Salto macht – im Kleinhirn feuern die Neurone. Doch Holmes hat den kleinen Bruder des Großhirns unterschätzt.

Cerebellum

Kleinhirn/Cerebellum/cerebellum

Das Cerebellum (Kleinhirn) ist ein wichtiger Teil des Gehirns, an der Hinterseite des Hirnstamms und unterhalb des Okzipitallappens gelegen. Es besteht aus zwei Kleinhirnhemisphären, die vom Kleinhirncortex (Kleinhirnrinde) bedeckt werden und spielt u.a. eine wichtige Rolle bei motorischen Prozessen. Entsteht aus dem Rhombencephalon. 

Aufbau und Struktur

Obwohl es nur etwa ein Sechstel vom Volumen des Großhirns besitzt, verfügt das Kleinhirn über fünfmal mehr Neurone. Um so viel Nervenmasse auf so kleinem Raum unterzubringen, ist die Kleinhirnrinde, der äußere Mantel des Kleinhirns, stark gefaltet. Die dadurch entstehenden horizontalen Fältchen werden als Blätter (Foliae) bezeichnet. Zerteilt man eine der Kleinhirnhemisphären längs, erkennt man den Grund für diese Bezeichnung: Wie das Geäst eines Baumes verzweigt sich im Inneren die weiße Substanz aus Nervenfasern. Die Anatomen bezeichnen sie als Lebensbaum, als Arbor vitae. Und an dessen Zweigen scheinen die Falten der Kleinhirnrinde wie Blätter zu hängen. Die Wurzeln des Baumes bilden die Kleinhirnstiele, die vom Kleinhirn zum Hirnstamm ziehen. Über diese Fasern empfängt und sendet das Kleinhirn Information.

Eingefasst wird der Lebensbaum von der grauen Substanz der Nervenzellen. Und wie sich auf mikroskopischer Ebene zeigt, ist auch diese außerordentlich akkurat strukturiert. In der gesamten Kleinhirnrinde finden sich die gleichen drei Zellschichten: die Molekularschicht, die Purkinjezellschicht und die Körnerzellschicht, von außen nach innen betrachtet. Besonders auffällig ist die mittlere Schicht – in ihr liegen die großen Purkinjezellen, ordentlich nebeneinander wie eine Schicht Kirschen in der Torte. Sie sind die zentralen Schaltstellen der Kleinhirnrinde: Mit ihren weitverzweigten Dendritenbäumen empfangen sie erregende und hemmende Informationen von fast allen anderen Rindenneuronen. Dabei können sich bis zu 200.000 Synapsen an einem Dendritenbaum befinden. Ihre Signale leiten die Purkinjezellen zu den Kleinhirnkernen, Ansammlungen von Nervenzellen tief in der weißen Substanz. Von dort gelangen die Impulse über die Kleinhirnstiele in andere Hirnbereiche außerhalb des Kleinhirns.

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Bereiche und Verbindungen

Funktional unterteilen die Anatomen das Cerebellum in drei Bereiche, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen: Das Vestibulocerebellum, das Spinocerebellum und das Pontocerebellum.

Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist das Vestibulocerebellum am ältesten: Selbst bei lebenden Fossilien wie den fischähnlichen, aalförmigen Neunaugen ist es zu finden, obwohl diese sich in den letzten 500 Millionen Jahren kaum verändert haben. Beim Menschen besteht das Vestibulocerebellum im Wesentlichen aus den anatomischen Strukturen Nodulus und Flocculus – zusammengefasst als Lobus flocculonodularis – und wie der Name bereits vermuten lässt, ist es funktionell verbunden mit dem Vestibularapparat, also dem Gleichgewichtsorgan des Innenohres. Dass wir balancieren können, oder aufrecht gehen, verdanken wir dem Vestibulocerebellum. Weiter ist es an der Steuerung der Augenbewegungen beteiligt.

Der Kleinhirnwurm und ein jeweils etwa fingerbreiter Rand rechts und links bilden gemeinsam das Spinocerebellum. Es sorgt dafür, dass wir gehen und stehen können, ohne darüber nachdenken zu müssen. Vom Rückenmark erfährt das Spinocerebellum, in welcher Position sich Arme, Beine und Oberkörper befinden, aber auch welche Muskeln angespannt und welche entspannt sind. Diese Information verarbeitet es und sendet sie an den Hirnstamm.

Das Pontocerebellum besteht aus den beiden Hemisphären. Über die Brückenkerne im Hirnstamm ist es eng mit dem Großhirn verbunden. Wann immer wir willentlich etwas bewegen, ist das Pontocerebellum beteiligt: Seine Aufgaben reichen vom präzisen Greifen bis zur Koordination der Kehlkopfmuskeln beim Sprechen. Dabei kann man das Pontocerebellum mit einem Dirigenten vergleichen. Statt Musik studiert es Bewegungen ein, stimmt sie auf seine Musiker – die Muskeln – ab und koordiniert deren Zusammenspiel. Die Noten entsprechen einem groben Bewegungsplan, der vom Großhirn geliefert wird. Läuft etwas schief, greift es ein: erweist sich zum Beispiel der Boden als unerwartet uneben oder ist die Kaffeetasse leer und deshalb leichter als gedacht. Korrekturschleifen wie diese sind auch ausgesprochen wichtig, um Bewegungen zunächst zu erlernen.

Zwar kennen die Hirnforscher die Aufgaben der drei Bereiche des Cerebellums, bislang verstehen sie jedoch nicht, wie genau Vestibulo-​, Spino– und Pontocerebellum all diese motorischen Aufgaben lösen.

Cerebellum

Kleinhirn/Cerebellum/cerebellum

Das Cerebellum (Kleinhirn) ist ein wichtiger Teil des Gehirns, an der Hinterseite des Hirnstamms und unterhalb des Okzipitallappens gelegen. Es besteht aus zwei Kleinhirnhemisphären, die vom Kleinhirncortex (Kleinhirnrinde) bedeckt werden und spielt u.a. eine wichtige Rolle bei motorischen Prozessen. Entsteht aus dem Rhombencephalon. 

Aufgaben und Ausfälle

Neuere Studien lassen vermuten, dass das Kleinhirn nicht nur für Motorik zuständig ist. Die Neurologin Catherine Limperopoulos und ihre Kollegen von der McGill University in Montréal untersuchten im Jahr 2005 Kinder, die mit Kleinhirnverletzungen geboren wurden. Neben motorischen Problemen hatten die kleinen Patienten auch Schwierigkeiten mit kognitiven Prozessen wie der Kommunikation, sozialem Verhalten und der visuellen Wahrnehmung. Zudem zeigen bildgebende Verfahren, dass bei einer Vielzahl von Tätigkeiten Aktivität im Kleinhirn aufleuchtet: Zum Beispiel bei Kurzzeitgedächtnisaufgaben, der Kontrolle impulsiven Verhaltens, beim Hören und Riechen, Schmerz, Hunger, Atemnot und vielem mehr. Noch wissen die Neurowissenschaftler nicht, welche Rolle das Kleinhirn bei diesen verschiedenen Aufgaben spielt. Eine verbreitete Hypothese lautet, dass das Kleinhirn für zeitliche Koordination zuständig ist.

Trotz der genannten kognitiven Defizite stehen bei Kleinhirnverletzungen motorische Probleme im Vordergrund. Sie entsprechen weitestgehend dem, was schon Holmes bei seinen Patienten beobachtet hat und was Neurologen als unterschiedliche „Ataxien“ bezeichnen: Die Betroffenen haben Probleme beim Gleichgewicht und der Koordination, der Gang ist schwankend und ähnlich dem eines stark Betrunkenen. Greifen diese Patienten nach etwas, zittert ihre Hand stärker, je näher sie dem Objekt kommt. Auch schießen die Bewegungen oft über das Ziel hinaus. Ihre Sprache klingt abgehackt. Die Spannung ihrer Muskeln ist häufig vermindert, so dass der Körper schlaff wirkt.

Auffällig sind auch die Augenbewegungen der Patienten. Der Blick bewegt sich ruckartig, die Augen scheinen zu zittern und oft muss die Augenstellung mehrfach korrigiert werden, um ein Objekt zu fixieren.

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