Question to the brain

Wie wirkt sich positives Denken auf das Gehirn aus?

Published: 28.04.2019

"Denke positiv und positive Dinge werden geschehen" - Anja Kinzel möchte gerne wissen, ob das wirklich funktioniert.

The editor's reply is:

Dr. Marcel Wilhelm, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie, Philipps-Universität Marburg

Diese Frage kann man auf Verschiedenes beziehen. Ich beziehe sie auf das von uns erforschte Thema Erwartungen. Genauer gesagt, beziehe ich die Frage darauf, wie positive Erwartungen an bestimmte Situationen "Heilkräfte" entwickeln können. So haben wir in unseren Studien Erwartungen als den Hauptmechanismus identifiziert, der dafür sorgt, dass es Menschen nach einer Behandlung mit Placebos besser geht, obwohl diese kein pharmakokinetisch wirksames Mittel enthalten.

Wie kann das sein? Dazu muss ich kurz ausholen: Früher herrschte die Sichtweise vor, dass das Gehirn eher passiv auf Reize von außen wartet und dann darauf reagiert. Mittlerweile wissen wir, dass das nicht so einfach ist. Heute sehen wir es so, dass das Gehirn ständig Vorhersagen über die Umgebung trifft und sich auf mögliche zukünftige Ereignisse vorbereitet. Dass diese Vorhersagen sehr unterschiedlich sein können, sehen wir im Vergleich gesunder und depressiver Personen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Erwartungen werden beide die gleiche neutrale soziale Situation unterschiedlich deuten. Das Gehirn spart sich dann die Verletzung der eigenen Erwartung, lernt aber auch nichts dazu. Denn wenn nur das Erwartete eintritt gibt es dazu keinen Anlass. Für schwer depressive Personen bedeutet dies, dass sie vor lauter negativer Erwartung gar nicht mehr mitbekommen, wenn eine Situation positiv ist!

Um das Denken umzustrukturieren müssen die Erwartungen verletzt werden. Etwa indem man sehr positive Erfahrungen mehrmals hintereinander macht, obwohl man negative erwartet. Bei Personen mit einer ausgeprägten Depression ist das aber schwer. Depression bedeutet u.a. eine Stoffwechselstörung von Botenstoffen, die mit Belohnung zu tun haben, also Dopamin, Serotonin und Noradrenalin. Wir wissen aus der Forschung, dass depressive Menschen, denen es an diesen Botenstoffen mangelt, für Belohnung nicht mehr so empfänglich sind, weshalb sie auch schlechter lernen und schlechter umlernen können.

Allerdings funktioniert das auch umgekehrt: Es gibt auch Befunde, die darauf hindeuten, dass positiv eingestellte Menschen leichter lernen, wenn dieses Lernen über eine Belohnung erreicht wird. Deren positive Verstärkung erleichtert das Lernen, weil der Effekt des ausgeschütteten Dopamins stärker ist. Die Belohnung wird stärker wahrgenommen, das macht es leichter zu lernen.

Das führt mich zurück zu Erwartungen. Deren positiven Effekt konnten wir in einer großen Studie mit Patienten nach einer koronaren Bypass Operation bestätigen. Wir haben Patienten vor ihren Operationen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt: Patienten der Standardgruppe wurden wie üblich behandelt und über die Operation aufgeklärt. In der Erwartungsoptimierungsgruppe wurden die Patienten vor dem Eingriff gebeten sich ihre Zukunft sechs Monate danach vorzustellen. Was würden sie langfristig durch den Bypass an Lebensqualität und Möglichkeiten dazu gewinnen? Das sollte positives Denken und positive Erwartungen fördern. Das Ergebnis der Studie war, dass Patienten, die sich vor dem Eingriff vorgestellt hatten was sie später durch die Operation alles machen können, wesentlich weniger eingeschränkt waren, oder ihre Einschränkungen als niedriger einschätzten. Teilweise hatten diese Patienten sogar bessere Entzündungswerte im Blut. Obwohl alle die exakt gleiche Operation bekamen.

Spannend daran ist, dass die Erwartung ja nichts an der Situation ändert. Das Ergebnis bedeutet also nicht: "denke positiv und positive Dinge werden passieren". Sondern eher: "erwarte Positives, dann siehst Du es auch". In dem Moment, da ich überhaupt die Möglichkeit sehe, dass etwas besser werden kann, kriege ich auch leichter mit, dass es besser geworden ist. Sonst übersehe ich das Positive, weil ich auf das Negative fokussiert bin.

Dass das sogar in Bezug auf eine Bypass Operation funktioniert, ist natürlich sehr schön.

Aufgezeichnet von Jochen Müller

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