Baustelle im Kopf

Grafik: MW
Gehirnentwicklung in der Pubertät

Selten verändern sich neuronale Strukturen so sehr wie in der Pubertät. Die Generalüberholung gipfelt in einem hocheffizienten Denkorgan. Doch während der Umbauarbeiten herrscht vorübergehend Chaos.

Scientific support: Dr. Anja Blumenthal

Published: 01.04.2017

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • Im jugendlichen Gehirn finden massive Umbauten statt. Graue Substanz geht verloren, weil überflüssige Synapsen ausgemerzt werden, weiße Substanz nimmt zu, weil immer mehr Axone von effizienzsteigernden Myelinscheiden umhüllt werden.
  • Am Ende dieses Prozesses steht ein deutlich leistungsfähigeres Gehirn mit effizienten neuronalen Netzwerken. Während der Umbauphasen herrschen allerdings mitunter chaotische Zustände.
  • Das liegt daran, dass nicht alle Gehirnregionen gleich schnell reifen. Während rasante Entwicklungen im limbischen System bereits das Belohnungssystem und emotionale Prozesse in Aufruhr versetzen, hinken der präfontale Cortex und sein Beitrag zur Besonnenheit hinterher.
  • Die starken Veränderungen im jugendlichen Gehirn machen es empfänglich für prägende Erlebnisse, aber dadurch auch verletzlich durch Krankheit, Drogen oder Gewalt.
  • Dennoch lohnt es sich, den Gefahren des jugendlichen Überschwangs beherzt zu begegnen. Risikoreiches Verhalten und Exzesse im Teenageralter helfen nämlich auch, sich abzunabeln und zu selbstbewussten und fähigen Erwachsenen zu werden.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Schlaf ist essentiell!

Teenager sind Morgenmuffel. Nicht etwa, weil sie faul und rüde sind, sondern weil die hormonellen Umstellungen in der Pubertät sich auch auf einen Teil des Gehirns auswirken, der den Tag-Nacht-Zyklus mit kontrolliert: Die Zirbeldrüse schüttet Melatonin aus, das Hormon, dass uns müde macht. Bei Jugendlichen tut sie dies allerdings mit bis zu zwei Stunden Verspätung, fand Mary Carskadon von der Brown University in Rhode Island schon 1980 heraus. Deshalb werden Teens später müde und kommen morgens nur schwer aus dem Bett. Viele Experten fordern inzwischen einen späteren Schulbeginn in der Pubertät, um diesem „Eulen“-Muster gerecht zu werden.

Suizid

Selbstmord ist nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache bei Teenagern. Die intensiven Gefühle und Umwälzungen während der Pubertät können für junge Menschen extrem stressig sein. Gerät die fragile emotionale Balance zu sehr aus dem Ruder kann es zu Depressionen und Suizidwünschen kommen. Ungefähr 15 Prozent der Teenager erfahren Selbstmordgedanken und nie ist die Zahl der Selbstmordversuche so hoch wie in der Jugend. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) gibt eine eigene Leitlinie zum Thema heraus. Vermeiden lassen Suizide sich demnach vor allem durch Aufklärung von Jugendlichen und den sie betreuenden Erwachsenen sowie durch niedrigschwellige Hilfsangebote.

Wenn eine Raupe zum Schmetterling reift, löst sie sich im Puppenstadium dabei vorübergehend fast vollständig auf. Beim Menschen erscheint der Übergang vom Kinder- ins Erwachsenenleben auf den ersten Blick weniger dramatisch. Zwar sprießen plötzlich Körperhaare, Pickel oder auch Brüste, verrutscht die Stimme und fließen allerlei neue Säfte, doch der radikale Umbau, den das Insekt durchmachen muss, bleibt dem metamorphosierenden Menschenkind erspart – dachte man. Bis in die 1970er Jahre hinein galt die Gehirnentwicklung mit Abschluss des starken Kopfwachstums in der früheren Kindheit als weitgehend beendet. Doch auch wenn das Gehirn nach dem sechsten Lebensjahr nicht mehr viel wächst, weiß man inzwischen, dass seine Struktur und Funktion sich auch danach noch massiv verändern – gerade in der Pubertät.

Der erste systematische Einblick in diesen Prozess gelang dem US-amerikanischen Neurowissenschaftler Jay Giedd von der University of San Diego in Kalifornien, als er 1989 mit seinen damaligen Kollegen vom National Institute of Mental Health in Bethesda begann, die Gehirne hunderter Kinder alle zwei Jahre mit einer Magnetresonanztomorgrafie (MRT) zu untersuchen, um zu verfolgen, wie Hirnstrukturen sich im Laufe der Zeit verändern. Inzwischen können die Forscher auf 1171 Scans von 618 sich normal entwickelnden jungen Menschen im Alter von 5 bis 25 Jahren zurückblicken. Was sie dort während der Teenage-Jahre fanden, sind Umbauten, die der Verwandlung im Innern der Schmetterlingspuppe kaum nachstehen.

Das pubertierende Gehirn löst sich zwar nicht auf, aber es kommt ihm zunehmend graue Substanz abhanden, also die Anteile im Gehirn, die vornehmlich aus Nervenzellkörpern bestehen. Vor allem der Cortex dünnt sich ab ungefähr dem 10. Lebensjahr stark aus . Das liegt weniger an absterbenden Zellen als daran, dass massenhaft Synapsen, die Kontaktstellen zwischen den Zellen, verloren gehen – und zwar vor allen solche, die wenig genutzt werden. Gleichzeitig nimmt die weiße Substanz im Gehirn weiter zu: Oligodendrozyten, eine besondere Form von Gliazellen, umwickeln immer mehr Axone. Die so gebildete fettreiche Myelinscheide, die der weißen Substanz auch ihre Farbe verleiht, erlaubt es den Axonen, Signale bis zu dreitausend mal schneller zu übertragen.

Der Frühjahrsputz unter den während der Kindheit verschwenderisch gebildeten Synapsen und die aufgemotzten Axone sorgen für mehr Effizienz im jugendlichen Gehirn. Doch diese stellt sich keineswegs überall gleichzeitig ein. Stattdessen folgen die Umbauarbeiten einer komplexen Choreographie, die auch Erklärungen für absonderliches Teenagergebaren anbieten. Die Generalüberholung arbeitet sich nämlich von schlichteren zu komplexeren kognitiven Funktionen vor. Sie beginnt mit acht oder neun Jahren im sensorischen und motorischen Cortex im Scheitellappen, die Sinne und motorischen Fähigkeiten zu schärfen und erfasst dann ab ungefähr dem 10. Geburtstag Bereiche im Stirnlappen, die für Koordinierungsaufgaben zuständig sind, zum Beispiel für sprachliche Ausdrucksfähigkeit und räumliche Orientierung.

Als letztes ziehen im Stirn- und Schläfenlappen diejenigen Regionen nach, die eine besonders wichtige Rolle bei höheren, integrativen kognitiven Funktionen wie z. B. der Willensbildung, Handlungsplanung und Impulskontrolle spielen. Besonders wichtig für solche Vernunft-Leistungen ist der präfrontale Cortex, und gerade dieser entwickelt sich besonders langsam, bis über den 20. Geburtstag hinaus. Jugendliche lassen sich zum Beispiel bei Denkaufgaben noch deutlich leichter ablenken als Erwachsene und zeigen dabei vor allem im präfrontalen Cortex andere Aktivitätsmuster.

Die Spätzündung im präfrontalen Cortex bedeutet auch, dass sich früher entwickelnde, emotional betonte Gehirnregionen in der Pubertät vergleichsweise ungezügelt austoben können. Männliche und weibliche Geschlechtshormone leisten dazu einen direkten Beitrag, vor allem im limbischen System, das eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Steuerung von Impulsen spielt und viele Hormonrezeptoren vorweisen kann. Testosteron fördert das Wachstum der Amygdala (des Mandelkerns), Östrogen eher das des Hippocampus . Beide Regionen sind Teil des Belohnungssystems, und die Amygdala wirkt als emotionaler Verstärker, gerade wenn es um Angst oder Wut geht.

Wie genau hormonelle Veränderungen die Struktur und Funktion dieser Gehirnregionen beeinflussen, ist zwar noch längst nicht klar, aber gerade die Amygdala gilt als heißer Kandidat für einen Motor pubertären Verhaltens . Bestens vernetzt mit anderen Gehirnarealen mischt sie vermutlich bei vielen Jugendexzessen mit – seien es Stimmungsschwankungen, erhöhte Aggression, Furchtlosigkeit und Risikofreude oder die Suche nach aufregenden Kicks. In der Amygdala nimmt die graue Substanz bei Teenagern entgegen dem Trend sogar zu – insbesondere bei Jungs, die schließlich auch mehr Testosteron produzieren. Bessere kognitive Leistungen gehen mit einem massiven Mandelkern nicht unbedingt einher, mitunter sogar das Gegenteil. Jedenfalls die Erkennung von Gesichtern und Gefühlen anderer – eine weitere wichtige Funktion der Amygdala – klappt in der Pubertät zeitweise weniger gut als in der Kindheit oder im Erwachsenenalter.

Der Neurowissenschaftler Peter Uhlhaas von der Universität Glasgow in Schottland fand Hinweise darauf, dass so ein vorübergehendes Leistungstief bei 15- bis 17jährigen direkt mit den Umbauarbeiten im jugendlichen Kopf zusammenhängt. Ihre Gehirne schwingen im EEG anders als die jüngerer oder älterer Probanden. Gerade hochfrequente Schwingungsmuster, die ein Indiz dafür liefern, wie gut die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Gehirnregionen läuft, wurden in dieser Altersgruppe schwächer und weniger synchron. „Wir beobachten eine einzigartige chaotische Phase, einen richtigen Bruch in der Entwicklung“, sagt Uhlhaas. Kurze Zeit später ist der Spuk schon wieder vorbei und aus dem Chaos entpuppen sich die für das reife Gehirn typischen hocheffizienten funktionalen Netzwerke, in denen auch weit voneinander entfernte Areale in synchroner Harmonie schwingen. Die Verwandlung ist komplett.

Wo so viel in Bewegung ist wie auf der Baustelle im Kopf, kann natürlich auch einiges verrutschen. Welche Synapsen ausgemistet werden und wie genau die Kabelisolierarbeiten bei der Myelinisierung ablaufen, hängt auch davon ab, was der metamorphosierende Mensch in dieser Zeit erlebt. Die erhöhte neuronale Plastizität während der Pubertät macht besonders sensibel für äußere Einflüsse – seien es spannende Erfahrungen, eine tolle Ausbildung, Videospiel- und Fernsehexzesse, Drogenmissbrauch oder Gewalt. Das erklärt nicht nur, warum Jugenderlebnisse oft lebenslang die Persönlichkeit prägen (Summer of 69), sondern auch, warum viele psychische Erkrankungen erstmals im Jugendalter auftreten. Mithilfe weiterer EEG-Studien an Jugendlichen, die erste psychiatrische Symptome zeigen, will Peter Uhlhaas daher ein Frühwarnsystem entwickeln, das gefährdete Teenager anhand typischer Schwingungsmuster erkennt und so ein rechtzeitiges Eingreifen ermöglicht.

Bei aller Sorge vor dauerhaften Entgleisungen bleiben extreme Emotionen, Anfälle von Wagemut und die Suche nach krassen Erfahrungen in der Pubertät normal. Sie haben auch einen evolutionären Sinn, ermöglichen sie doch der heranreifenden Generation die Abkopplung von den Eltern und den Aufbau des eigenen Erfahrungsschatzes, den es braucht, um ein unabhängiger Erwachsener zu werden. Initiationsriten, in denen Teenager sich Mutproben oder Gefahren stellen oder auf eigene Faust in der Wildnis klarkommen müssen, sind fester Bestandteil vieler Kulturen und erleben auch bei uns derzeit eine Renaissance. Zu Recht, finden viele Experten und fordern, Jugendliche stärker herauszufordern und ihre Grenzen austesten zu lassen.

In der Pubertät mögen Flegelmanieren, Stimmungsstürme und sprießende Gewebe und Sekrete gehörig nerven und ja, auch Chaos im Kopf herrschen. Ein bisschen mehr Vertrauen in die fast reifen Gehirne ist dennoch nicht fehl am Platz. Man braucht nur einen Blick in einschlägige Schülerwettbewerbe zu werfen, um sich davon beeindrucken zu lassen, zu welchen Höhenflügen die musizierenden, forschenden oder debattierenden Kontrahenten in der Lage sind. Und ausgerechnet beim Zocken um Geld wählen Jugendliche mitunter sogar rationalere Strategien als Erwachsene, fanden Forscher kürzlich heraus .

 

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Cortex bezeichnet eine Ansammlung von Neuronen, typischerweise in Form einer dünnen Oberfläche. Meist ist allerdings der Cortex cerebri gemeint, die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2

Amygdala

Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala

Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Darüber hinaus ist sie an der Verknüpfung von Emotionen mit Erinnerungen, der emotionalen Lernfähigkeit sowie an sozialem Verhalten beteiligt. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt. 

zum Weiterlesen:

Giedd JN et al: Child Psychiatry Branch of the National Institute of Mental Health Longitudinal Structural Magnetic Resonance Imaging Study of Human Brain Development. Neuropsychopharmacology Reviews. 2015; 40: 43-49 ( zum Volltext )

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