Chaos im Gehirn

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Defekter Kaliumkanal KCNQ3 verantwortlich für Chaos im Navigationssystem des Gehirns

Source: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen

Published: 10.08.2021

Der Kaliumkanal KCNQ3 ist essentiell, damit unser Gehirn präzise räumliche Landkarten erzeugen kann. Ist der Kanal defekt, hat das messbare Auswirkungen auf das innere Navigationssystem von Mäusen. Die jetzt in Nature Communications publizierten Erkenntnisse eines Forschungsteams unter Beteiligung der FAU sind auch für die Alzheimer-Forschung relevant.
Kalium ist unter anderem unentbehrlich für die Erregbarkeit der Muskel- und Nervenzellen. Verschiedene Ionenkanäle sorgen dafür, dass Kaliumionen über Zellmembranen fließen und dadurch elektrische Ströme erzeugen. Vor 20 Jahren konnte das Team von Prof. Thomas Jentsch vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin die Gene für die Kaliumkanalfamilie KCNQ2-5 identifizieren und später zeigen, dass Mutationen an KCNQ2 und KCNQ3 erbliche bedingte Epilepsie beim Menschen verursachen können. Dank dieser wegweisenden Arbeiten konnten Pharmafirmen zielgenaue Antiepileptika entwickeln.
Nun haben ein Team von Molekularbiologen unter Federführung von Thomas Jentsch und ein Team von Neurophysiologen, geleitet von Prof. Dr. Alexey Ponomarenko, Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU, zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der University of Connecticut und der Universität Köln Hinweise gefunden, dass KCNQ3 möglicherweise auch eine Rolle bei der Alzheimer Demenz und weiteren kognitiven Störungen spielen könnte.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Präzise Karten im Gehirn

Normalerweise werden bestimmte Kaliumströme vom Transmitter Acetylcholin gehemmt, was wichtig für die Erregbarkeit im Kortex und damit entscheidend für Gedächtnis und Aufmerksamkeit ist. Diese sogenannte cholinerge Neuromodulation geht bei Alzheimer-Patienten bekanntlich nach und nach verloren.
In der vorliegenden Arbeit untersuchten die Forschenden die Rolle der KCNQ3-Kanäle speziell bei der Neuromodulation des Navigationssystems des Gehirns. Die sogenannten Ortsfelder („place fields“), deren Entdeckung vor einigen Jahren mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, dienen dem Gehirn als innere Landkarte. „Wir fanden heraus, wie verschiedene Signale, die von Ortszellen unter der Kontrolle von KCNQ3-Kanälen erzeugt werden, mit den Gehirnrhythmen interagieren und so präzise räumliche Karten bilden“, beschreibt Alexey Ponomarenko ein zentrales Ergebnis der Studie.
Bei Knock-out-Mäusen mit defektem KCNQ3-Kanal, die von Prof. Dr. Thomas Jentsch’s Gruppe erzeugt wurden, zeigte sich jedoch ein anderes Bild: Während bei gesunden Mäusen die Aktivitätsmuster der Ortszellen einer bestimmten räumlichen und zeitlichen Abfolge unterlagen, lief bei den Knock-Out-Mäusen die synaptische Übertragung von einzelnen oder mehreren Signalen gleichzeitig (Salven) mehr oder weniger chaotisch ab. „Salven haben normalerweise einen bestimmten Rhythmus, wann sie abgefeuert werden. Bei den Mutanten werden sie jedoch nicht mehr durch den Rhythmus kontrolliert, sondern zu völlig zufälligen Zeitpunkten beziehungsweise Phasen des Rhythmus abgefeuert“, erklärt Prof. Ponomarenko. „Dadurch werden einzelne Aktionspotenziale unterdrückt und es kommt zu einem Ungleichgewicht zwischen verschiedenen Aktivitätsmustern in den Nervenzellen.“
15 Mikrometer dünne Silikon-Elektroden, die im Hippocampus der Nager implantiert worden waren, lieferten zusammen mit optogenetischen Untersuchungen die spannenden Einblicke ins Gehirn. Die amerikanischen Forschenden konnten darüber hinaus zeigen, dass der fehlende KCNQ3-Kanal zu einer starken Reduktion der Kaliumströme (hier M-Strom) in den Nervenzellen führte.
„Obwohl die bisher verfügbaren Daten für eine klinische Anwendung nicht ausreichen, lassen unsere Erkenntnisse vermuten, dass die KCNQ3-Kanäle ein potenzielles Ziel für die zukünftige Erforschung von Medikamenten gegen Alzheimer- und anderen Demenzen sein könnten“, betont Prof. Ponomarenko, „zumindest im frühen Stadium, wo die Ortszellen wahrscheinlich noch vorhanden sind, aber die cholinerge Neuromodulation schon nachgelassen hat.“
Weitere Untersuchungen sollen nun folgen, um die Rolle von KCNQ3 im Gehirn noch besser zu verstehen.

Acetylcholin

Acetylcholin/-/acetylcholine

Acetylcholin ist einer der wichtigsten Neurotransmitter des Nervensystems. Im zentralen Nervensystem ist es an Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis beteiligt, im peripheren Nervensystem überträgt es die Erregung von Nerven auf Muskeln an den neuromuskulären Endplatten und steuert Prozesse des autonomen Nervensystems, also des sympathischen und parasympathischen Teils. Bereiche, in denen Acetylcholin als Botenstoff wirkt, werden cholinerg genannt. Es war der erste entdeckte Neurotransmitter, nachgewiesen 1921 von Otto Loewi am Herzen eines Frosches.

Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit/-/attention

Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Reizen bzw. Informationen konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.

Originalpublikation

Xiaojie Gao et al (2021): Place fields of single spikes in hippocampus involve KCNQ3 channel-dependent entrainment of complex spike bursts. Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-021-24805-2

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